Forderungen der Malteser für eine Neuregelung / einen Gesetzesentwurf zum assistierten Suizid

Als Malteser gehören wir mit über 80.000 ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden zu den großen sozialen Dienstleistern in Deutschland.

Wir schaffen mit unseren Diensten und Einrichtungen Schutzräume, in denen wir Suizidassistenz weder durchführen noch dulden. Daher fordern wir den Gesetzgeber auf, im Rahmen der Neuregelungen zum assistierten Suizid die gesetzlichen Rahmenbedingungen für derartige Schutzräume zu schaffen. Weder Einzelpersonen noch Träger dürfen dazu verpflichtet oder genötigt werden, sich am assistierten Suizid beteiligen bzw. diesen notgedrungen in ihren Einrichtungen und Diensten dulden zu müssen.

I. Forderungen an den Gesetzgeber

II. Erfahrungen aus der Praxis

Die vorstehenden Forderungen erwachsen aus unseren reflektierten Erfahrungen in der jahrzehntelangen Arbeit nahe am Menschen. Wir sind Träger von Altenhilfeeinrichtungen, Krankenhäusern und stationären Hospizen, von Jugendhilfeeinrichtungen und Einrichtungen für Geflüchtete. Wir sind einer der größten Anbieter in der ambulanten Hospizarbeit in Deutschland, engagieren uns in der Palliativmedizin genauso wie in der Trauerarbeit. Zu unseren Arbeitsschwerpunkten gehört die Betreuung und Begleitung einsamer, alter, hilfsbedürftiger und insbesondere demenziell veränderter Menschen.

Unsere Arbeit ist dabei geprägt von Toleranz, Respekt, Wertschätzung und der Achtung der Würde eines jedes Menschen. Dies schließt insbesondere die Achtung der individuellen

Bedürfnisse und Willensäußerungen von Patientinnen und Patienten, Bewohnerinnen und Bewohnern, Gästen und Klientinnen und Klienten ein. Mit Sorge beobachten wir eine gesellschaftliche Entwicklung, die Suizid - auch unter Beihilfe Dritter - als Ausdruck höchster Selbstbestimmung betrachtet. Aus dem Bewusstsein um die Verletzlichkeit vieler der uns anvertrauten Menschen sehen wir uns verpflichtet, uns für eine solidarische mitfühlende Gesellschaft, die das Leben bejaht, einzusetzen und so die Selbstbestimmung vulnerabler Personengruppen zu stärken.

1. Sterbenswünschen begegnen

In unserer Praxis begegnen wir schwerkranken, sterbenden oder hochaltrigen Menschen, die sich den Tod herbeisehnen. Wir fragen uns dann, wofür steht der Sterbewunsch? Wenn Sterbewünsche geäußert werden, ist es nicht in erster Linie ein Hilferuf? Ein Zeichen für eine persönliche Krise?

Aus unserer Erfahrung, die sich mit den Erkenntnissen der Suizidforschung decken, steht hinter jedem Suizidwunsch („ich will nicht mehr leben“) ein Hilferuf („ich will SO nicht mehr leben“). Daher sehen wir unsere Aufgabe nicht darin, Sterbewünsche mit Hilfe von Suizidassistenz zu erwidern, sondern dem Anderen in seiner Krise beizustehen und miteinander nach Auswegen zu suchen.

Mit der Aussage, sterben zu wollen, wird das Umfeld nicht zum Schweigen verurteilt, sondern im Gegenteil zur Antwort herausgefordert und zum Ringen um das Leben dieses Menschen. Wir haben vielfach die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit Sterbewunsch sich auf diese Weise ernstgenommen, wertgeschätzt, gesehen und gewollt fühlen. Darüber finden sie neue Lebenskraft und Perspektiven und der Sterbewunsch verliert an Bedeutung.

2. Schutz für vulnerable Gruppen vor Auswirkungen eines assistierten Suizids

Was bedeutet es für Mitbewohnerinnen und -bewohner, Patientinnen und Patienten, wenn ein assistierter Suizid im Nachbarzimmer durchgeführt wird? Wie schützen wir vulnerable Menschen davor, nicht unter einen Rechtfertigungsdruck bzgl. ihres Weiterlebens zu kommen – angesichts von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Abhängigkeit und finanziellem Kostendruck?

Wie können Nachahmungen vermieden werden, die oft einem Suizid folgen (Bsp. Robert Enke)? Und wer hat die Angehörigen im Blick, die bei einem assistierten Suizid mit-betroffen sind und nach einem assistieren Suizid nicht gut weiterleben könn(t)en?

Wenn ein geschäftsmäßig assistierter Suizid im Nachbarzimmer vollzogen wird, hat das unweigerlich gravierende Auswirkungen auf die Mitbewohnerinnen und -bewohner, Patientinnen und Patienten (z.B. Wird das von mir ebenfalls erwartet? Kann man dem Anderen nicht auf andere Weise helfen? Braucht man mein Bett auch?). Was bewirkt also die Entscheidung eines einzelnen Mitbewohners für sein unmittelbares Umfeld?

Jeder Mensch ist eingebettet in ein soziales Gefüge. Jede Entscheidung, auch die, sich das Leben zu nehmen, hat eine Wirkung, die über den einzelnen hinausgeht und seine Umgebung und die Gesellschaft mit betrifft. Das gilt für Angehörige, die mit den Auswirkungen eines Suizids leben müssen („was wäre gewesen, wenn…“) als auch für die Einrichtung im Gesundheits- und Sozialwesen. Deshalb sehen wir unsere Verantwortung darin, das Selbstbestimmungsrecht von Bewohnerinnen und Bewohnern und Klientinnen und Klienten zu schützen und zu stärken, damit sie sich nicht durch die Erwartungshaltung anderer zu suizidalen Handlungen gedrängt fühlen (müssen). Mit unseren Einrichtungen und Angeboten sorgen wir für einen „palliativen“ Schutzraum, in dem Begleitung gelingen kann – ohne das Leben künstlich zu verlängern oder zu verkürzen.

3. Beteiligung und Duldung sind nicht zu trennen

Was bedeutet ein assistierter Suizid in der Einrichtung für die Mitarbeitenden? Können diese überhaupt unbeteiligt sein? Auch wenn ein extern Suizidhelfender die Assistenz durchführt – bleiben Mitarbeitende nicht weiterhin in der psychosozialen Begleitung und pflegerischen Versorgung – vor und nach dem Suizid? Welche Pflichten haben Mitarbeitende, wenn ein Suizidversuch scheitert? Und was löst das bei Mitarbeitende aus, die Suizidassistenz nicht mit ihrem Berufsethos und ihrem Gewissen vereinbaren können? Was muten wir ihnen zu? Wie sollte eine Grenze zwischen Fürsorge und einer Beteiligung bzw. Duldung klar zu ziehen sein?

Unsere Mitarbeitenden sind täglich in einer intensiven Beziehung zu Bewohnerinnen und Bewohnern, Patientinnen und Patienten. Sie sind in der pflegerischen Versorgung und psychosozialen Begleitung nah am Menschen. Aus dieser Perspektive führt selbst ein ohne Wissen der Mitarbeitenden durchgeführter assistierter Suizid zu einer „erzwungenen Duldung“. Gleichzeitig heißt es aber, es könne niemand zur Suizidassistenz verpflichtet werden. Eine solche Dilemma-Situation geht mit einer psychischen Belastung für jeden einzelnen Mitarbeitenden und ganze Teams einher.

Allein aus den oben angeführten Anfragen aus der Praxis wird bereits deutlich: Wir Malteser können und werden keinen assistierten Suizid in unseren Diensten und Einrichtungen zulassen.

Umso mehr wollen wir uns mit unserer langjährigen praktischen Erfahrung an der aktuellen politischen Debatte beteiligen. Nicht beteiligen werden wir uns an der Diskussion um Kriterien, unter denen ein assistierter Suizid ermöglicht werden soll. Unser Anliegen ist es, uns für die uns anvertrauten Menschen, unsere Mitarbeitenden in den Diensten und Einrichtungen und die von Suizid betroffenen Zugehörigen einzusetzen und alles dafür zu tun, damit Menschen mit Sterbewunsch und Wunsch nach assistiertem Suizid angemessene Hilfen und Unterstützung im Sinne der Suizidprävention erfahren.