Sexualisierte Gewalt: Was ist das und wo findest du Hilfe?

Es ist nicht immer leicht, klar abzugrenzen, was sexualisierte Gewalt ist. Gehört ein anzüglicher Spruch schon dazu? Was ist mit dem Grabscher im Bus? Wichtig ist, auf das eigene Gefühl zu vertrauen und sich gegebenenfalls Hilfe zu suchen.

Darum geht's:


Was versteht man unter sexualisierter Gewalt?

Der Begriff umfasst jede Form von Gewalt, die sexualisiert ist – dabei kann es sich um verbale, schriftliche oder körperliche Übergriffe handeln. Die Spannbreite reicht von anzüglichen Blicken, obszönen Worten oder Gesten, E-Mails mit sexuellem Inhalt, unerwünschten pornografischen Bildern, übergriffigen Berührungen bis hin zu Vergewaltigungen. Ansgar Kesting, der Bundespräventionsbeauftragte der Malteser, sagt: „Klar ist, dass es sich bei jeglicher Form um eine Gewalttat handelt und nicht um Sexualität. Es ist Gewalt, die sexualisiert wird. Der Täter oder die Täterin stellt seine oder ihre Bedürfnisse über die des Opfers. Es handelt sich um eine Machtausübung, die im Übrigen häufig mit viel Mühe und Sorgfalt gezielt vorbereitet wird. Das ist selten etwas Spontanes oder Zufälliges – vor allem nicht, wenn Kinder und Jugendliche betroffen sind.“

Wer sind die Täter beziehungsweise Täterinnen?

Wie bei Kindern und Jugendlichen gilt auch bei erwachsenen Opfern, dass es sich selten um einen Fremdtäter oder eine Fremdtäterin beziehungsweise um eine Spontantat handelt: Zwei Drittel aller gemeldeten Vergewaltigungen finden im direkten, sozialen Umfeld statt – in der Familie (im Rahmen häuslicher Gewalt), im Freundeskreis und am Arbeitsplatz. Auch in Diskotheken, auf Festivals oder auf Partys kommt es zu sexueller Gewalt – in einigen Fällen werden dort K.-o.-Tropfen eingesetzt, um die Opfer gefügig zu machen. Bei sexualisierter Gewalt sind die Täter zu 80 bis 90 Prozent männlich, doch auch Frauen üben diese aus. Und: Auch Jungen und Männer werden und sind Opfer.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Zahlen

Laut der „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ (kurz UBSKM) der Bundesregierung wurden 2021 in Deutschland 15.520 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs durch die Polizei „ausermittelt“. Hinzu kamen unter anderem 48.821Fälle sogenannter Kinder- und Jugendpornografie. Hierbei handelt es sich nur um die von der Polizei erfassten Fälle, die Dunkelziffer wird sehr viel höher geschätzt. Auf der UBSKM-Website heißt es dazu: „Es ist davon auszugehen, dass etwa ein bis zwei Schülerinnen beziehungsweise Schüler in jeder 7. Schulklasse von sexueller Gewalt in der Familie und andernorts betroffen waren/sind.“ Dabei stellen die Expertinnen und Experten klar: „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche findet nicht versehentlich oder aufgrund von Gelegenheiten statt. Mit mehr oder weniger bewusst reflektierten Strategien manipulieren Täter und Täterinnen häufig sowohl das Opfer als auch sein schützendes Umfeld.“ Gerade im Internet seien Kinder und Jugendliche diesen sogenannten Interaktionsrisiken ausgesetzt.

Sexualisierte Gewalt im und über das Internet

Sexualisierte Gewalt bahnt sich zunehmend über das Internet an – über Spiele oder auf TikTok, Snapchat und Co. suchen die Täter und Täterinnen gezielt Kontakt zu Kindern und Jugendlichen. Die Anbahnung und Vorbereitung sexueller Gewalt gegenüber Minderjährigen im Internet nennt man Cyber-Grooming. Der Täter oder die Täterin erschleicht sich subtil das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen, gaukelt ihnen meist eine gefälschte Identität vor. Unter missbräuchlichem Sexting versteht man die nicht erlaubte Verbreitung von intimen Filmen, Fotos oder Textnachrichten, die nicht zur Veröffentlichung erstellt wurden. Auch mit Pornografie werden Kinder und Jugendliche zunehmend über das Internet konfrontiert, etwa indem ihnen ungewollt Bilder oder Filme zugestellt werden.

Wann ist sexualisierte Gewalt strafrechtlich relevant?

Das Portal Jugendschutz.net hält dazu in seinem Bericht „Sexuell belästigende Kommunikation in Social Media“ fest: „Je nach Einzelfall ist sexuell belästigende Online-Kommunikation nicht nur jugendmedienschutzrechtlich relevant. Es können auch Straftaten vorliegen, z. B. (sexuelle) Beleidigung (§ 185 StGB), sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind (§ 176a StGB) oder sexuelle Belästigung (§ 184i StGB). Letztere erfordert hingegen eine körperliche Berührung. Sofern dies online z. B. in einem Video gezeigt wird, kann auch dies bei der Rezeption entwicklungsschädigend sein.“

Ansgar Kesting ergänzt: „Wer mit Kinderpornografie konfrontiert wird, darf diese auf keinen Fall speichern oder weiterleiten, sonst macht man sich selbst strafbar. In solchen Fällen muss sofort die Polizei eingeschaltet werden.“

Was ist, wenn die Beteiligten Jugendliche sind?

„Auch wenn Jugendliche sich untereinander ausprobieren, gilt es, die Grenzen des anderen zu respektieren und sie einzuhalten“, sagt Ansgar Kesting, „alles andere ist auch im Jugendalter nicht in Ordnung und kann strafrechtlich relevant sein.“ Er selbst unterscheide bei der Einordnung solcher Vorfälle zwischen Grenzverletzungen und Übergriffen: „Erstere geschehen unabsichtlich, vielleicht unbedarft, letztere absichtlich. Nehmen wir als Beispiel einen überfüllten Bus, dann kann es passieren, dass etwa ein Mann eine Frau am Gesäß berührt. Das ist für die Frau eine Grenzverletzung, absolut nachvollziehbar. Wenn diese Grenzverletzung nicht beabsichtigt war, wird sie leicht mit einer Entschuldigung geklärt werden können. Steigt aber ein Mann jeden Morgen in den Bus, um die Enge der Situation für solche Berührungen auszunutzen, haben wir es mit einem klaren Übergriff zu tun, der geahndet werden muss.“ Nicht immer sind die Handlungen von außen leicht zu unterscheiden. Immer richtig ist es aber, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu schützen.

Wie reagiere ich, wenn ich Opfer sexualisierter Gewalt wurde?

„Man sollte auf jeden Fall auf seine eigenen Gefühle achten und sie ernst nehmen“, sagt Ansgar Kesting. „Opfer sexualisierter Gewalt können meist sehr genau sagen, was in Ordnung und was eine Grenzüberschreitung war. Wer ein komisches Bauchgefühl hat, sollte dieses ernst nehmen. Das muss man für sich auch nicht immer genau einordnen können, dennoch sollte man diesem Gefühl zunächst vertrauen“, sagt er. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen dient der Präventionsbeauftragte als erste Anlaufstelle für das Thema bei den Maltesern. Sein klarer Rat: „Es ist es auf jeden Fall sinnvoll, sich Hilfe zu suchen. Man sollte niemals allein mit diesem Thema bleiben.“

Wo finde ich als Opfer sexualisierter Gewalt Hilfe?

Ein erster Schritt könne sein, eine Person des Vertrauens anzusprechen. Etwa eine Freundin oder einen Freund. Dabei könne man auch fragen: „Wie findest du das, was passiert ist? Wie beurteilst du die Situation?“ Diese Rückversicherung könne helfen, für sich Klarheit zu gewinnen (natürlich nicht in jedem Fall – da musst du auch ein wenig deinem Bauchgefühl vertrauen). „Dann kann man sehen, was man mit der Situation macht. Ich rate immer dazu, sich an professionelle Beratungsstellen zu wenden“, sagt der Experte der Malteser. „Eine Beratung ist immer möglich. Das heißt nicht, dass man damit zwangsläufig gleich einen Prozess in Gang setzt, den man nicht mehr beeinflussen kann. In den Beratungsstellen sind Expertinnen und Experten, die sensibel mit dem Thema umgehen und Betroffene individuell beraten.“ Außerdem liege die Verantwortung für die Handlung immer bei dem Täter oder der Täterin – und nicht bei dem Opfer.

Hier gibt es professionelle Hilfe und Beratung

Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch unterstützt Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend (sowie deren Umfeld) mit vielen Infos und Hilfsangeboten. Es wird sowohl telefonisch als auch online beraten, auch Anlaufstellen vor Ort werden vermittelt.

Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen bietet Beratung zum Thema sexualisierte Gewalt speziell gegen Frauen an – per Telefon, per Chat und online, in insgesamt 18 Sprachen, auch in Gebärden- und leichter Sprache. Im Jahr 2021 suchten 54.000 Menschen die Beratung des Hilfetelefons; das sind 5 Prozent mehr als im Vorjahr.


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