WARMGEFAHREN – Warme Kleidung per Fahrrad verteilen

Der Winter naht. Darum geben Elias Dege und Frederyk Bieseke ihr Bestes, um Obdachlose in Berlin mit warmer Kleidung zu versorgen. Ihr Werkzeug: Lastenfahrräder. 

Darum geht's:


Kleidung ausfahren statt Geld geben

Es gab keinen großen Auslöser oder eine besondere Begebenheit, warum Elias und Frederyk ihr Projekt WARMGEFAHREN ins Leben gerufen haben. Die beiden wohnen gemeinsam in einer WG, als Elias im Winter 2017 eine Feststellung macht: „Auf dem Weg zur Arbeit habe ich immer Obdachlose auf den Straßen in Prenzlauer Berg gesehen. In diesem Winter fiel mir plötzlich auf, wie viele es sind. Freddy und ich hatten Kleidung in der WG aussortiert. Da kam uns die Idee, dass wir die Menschen geben könnten, die auf der Straße leben – um ihnen eine Freude zu machen.“
Die Kleidung soll aber nicht im Auto zu den Obdachlosen gebracht werden, denn die Straßen in Berlin sind schon voll genug. Elias und Freddy wollen den Verkehr nicht zusätzlich belasten und finden eine andere Möglichkeit: „Ich wollte schon immer ein Lastenfahrrad haben“, erzählt Elias. Aber Lastenfahrräder sind nicht billig. In einem Fahrradladen entdecken sie damals Leihfahrräder und finden gleich ihre ersten Unterstützer: „Die Leute von VeloGut fanden unsere Idee gut und haben uns die Fahrräder für einen Winter lang ausgeliehen“. Elias und Frederyk organisieren sich ein paar Kisten, sammeln im Freundeskreis Kleiderspenden und los geht es durch Prenzlauer Berg, Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain – seit 2017 jeden Winter.

Jemandem eine Freude machen mit Socken

Inzwischen ist Elias 23 Jahre alt, Frederyk ist 26. Elias baut in einer Wildholz-Werkstatt Einrichtungsgegenstände, Frederyk ist angehender Tischler. Zwei bis drei Tage in der Woche fahren die beiden nach Feierabend mit ihren Lastenfahrrädern Kleiderspenden und heißen Kaffee aus. Ihre Arbeit wird sofort verstanden und angenommen, erzählt Elias: „Wir musste bei den Obdachlosen nie wirklich etwas erklären. Mit den Fahrrädern können wir direkt zu den Menschen fahren und sie können sofort sehen, was wir dabeihaben.“

Elias und Frederyk bringen den Obdachlosen aber nicht nur Kleidung. Sie verbringen auch immer ein bisschen Zeit mit ihnen: „Wir wollen lieber regelmäßigen Kontakt zu denselben Leuten, als jeden Tag hunderte zu treffen und dadurch weniger über den einzelnen Menschen zu erfahren. Manchmal sitzen wir mit ihnen eine Stunde zusammen, trinken Kaffee, rauchen eine und hängen einfach mit ihnen ab. Ich habe das Gefühl, dass mehr Leute anhalten und einen Euro in den Becher werfen, wenn wir dabei sind.“
Das Projekt macht auch etwas mit Elias und Frederyk: „Man lernt, das eigene Leben wertzuschätzen“, sagt Elias. „Es ist so einfach, jemandem eine Freude zu machen. Ein Obdachloser hat mich mal am Bahnhof nach Geld gefragt. Ich hab ihn gefragt, was er statt des Geldes noch braucht. Er sagte: Socken. Am nächsten Tag habe ich ihm Socken mitgebracht. Das hat ihm so viel Freude gemacht und für mich war es kein besonderer Aufwand.“

Welche Spenden werden am dringendsten gebraucht?

Schlafsäcke und Isomatten werden immer gebraucht. Besonders die Schlafsäcke halten nicht lange. Werden sie einmal nass, trocknen sie nicht mehr und halten auch nicht mehr warm. Tatsächlich wird auch Unterwäsche gebraucht, sagt Elias: „Die meisten Menschen spenden keine Unterwäsche, wahrscheinlich weil da ein Schamgefühl ist. Aber Obdachlose brauchen – wie auch wir - Unterwäsche“.

Wer einen Kleiderwunsch hat, sagt Elias und Freddy Bescheid. Sie versuchen, die passenden Kleidungsstücke zu finden und mitzubringen. Seitdem sie 2018 eine Crowd-Funding-Kampagne gestartet hatten, melden sich immer wieder Leute, die mithelfen oder spenden wollen. Was toll klingt, ist für Elias und Frederyk aber gar nicht leicht.

Jeder kann überall Kleidung sammeln und verteilen

„Das Problem war, dass wir immer alle Sachen in der WG gelagert haben. Diese ganze Logistik dahinter, also die Sachen lagern und die Helfer losschicken, das fehlt uns noch“, sagt Elias. Helfende Hände und Spenden sind weiterhin willkommen. „Und falls jemand Lagerfläche hat, dann wäre das auch toll! Wir haben aufgezeigt, dass es mit Fahrrädern wirklich gut funktioniert. Und wir wollen das Konzept gerne an alle weitertransportieren. Jeder kann überall Kleidung sammeln und verteilen – auch unabhängig von uns. Das könnte durchaus wachsen und nicht nur in Berlin, sondern überall.“ 
 
Das Projekt in die Welt bringen – nicht immer war Elias so optimistisch. „Für mich hat sich das Projekt manchmal nicht so nachhaltig angefühlt. Es gab Tage, da dachte ich: Ich kann zehn Menschen auf der Straße mit Klamotten beliefern und trotzdem laufen jeden Tag Tausende Leute an ihnen vorbei und ignorieren sie.“ Aber das Feedback von Familie, Freunden und Bekannten macht den beiden eines deutlich: „Wir haben unbewusst eine Art Aufklärungskampagne geleistet. Einige Freunde und Bekannte haben unsere Arbeit beobachtet und sind dann auf uns zugekommen. Sie haben gesagt: Jetzt habe ich plötzlich einen Blick für die Menschen, die auf der Straße leben. Eigentlich ist doch genau das nachhaltig – da wollen wir in Zukunft anknüpfen!“
Elias und Frederyk planen, die Lebensgeschichten einiger Obdachloser als Videos zu veröffentlichen. Sicherlich werden die beiden von ihrem Projekt WARMGEFAHREN noch hören lassen. 

Daten, Zahlen, Fakten zur Obdachlosen-Hilfe

Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen in Deutschland auf der Straße leben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. schätzt, dass es im Jahr 2018 über eine halbe Million (678.000) Menschen waren. Der Winter kann für sie tödlich enden, wenn sie keine Hilfe bekommen. Zwischen Januar und März 2019 sind allein 12 Obdachlose in Deutschland erfroren. Falls du bei Minusgraden Menschen auf der Straße oder im Park schlafen siehst, dann hilf ihnen mit einem Anruf zum Beispiel bei der Kältehilfe. Viele Organisationen bieten Obdachlosen Möglichkeiten, sich aufzuwärmen wie der Malteser Wärmebus. Natürlich kannst du noch mehr tun. Du könntest in einer Suppenküche oder Kleiderkammer ehrenamtlich helfen. Oder du sammelst in deiner Familie warme Kleidung und Schlafsäcke ein, die nicht mehr gebraucht werden. Bring sie zu den Sammelstellen von Hilfsorganisationen. Elias und Frederyk von WARMGEFAHREN freuen sich über jeden Helfer und über jede und jeden, die es ihnen gleichtun wollen, ob in Hamburg, Rostock, Hannover, Potsdam, Dresden, Köln, Erfurt oder München.

Titelbild © Wibke Reckzeh


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