Krisenintervention: Wenn akute Not herrscht, sind sie da
Sie sind immer dann im Einsatz, wenn Menschen in Not schnell Hilfe brauchen: nach Unfällen, plötzlichen Todesfällen oder Naturkatastrophen. Dann stehen die Helfer der Malteser Krisenintervention denjenigen bei, deren Leben gerade aus den Fugen geraten ist. Sie hören zu, geben Rat und helfen vor allem auch mit Taten. Einer von ihnen ist Harald (50) aus Bayern, der sich seit 28 Jahren in der Krisenintervention engagiert.
Darum geht's
Was ist die Krisenintervention?
Die Krisenintervention ist eine Akuthilfe, die in den ersten sechs Stunden nach einem belastenden Erlebnis zum Einsatz kommt. „Wir haben eigentlich immer mit Grenzbereichen des menschlichen Lebens zu tun“, sagt Harald, „wir unterstützen Menschen, die durch Schicksalsschläge in akut belastende Situationen geraten sind.“ Die Krisenintervention ist dann vor Ort, betreut und unterstützt Ersthelfer von Unfällen, Hinterbliebene nach plötzlichen Todesfällen, Überlebende nach Naturkatastrophen. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Mitarbeitenden für die Betroffenen da sind und mit ihnen reden, sondern auch ganz praktisch und pragmatisch Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Um was für Hilfestellungen handelt es sich konkret?
„Stellen wir uns diesen Fall vor: Eine Frau wacht nachts um 3 Uhr auf, neben ihr röchelt ihr Mann. Sie ruft den Notarzt, der kommt, die Sanitäter verrücken Möbel, Kanülen werden gelegt, der Mann wiederbelebt – es herrscht Chaos. Um 4 Uhr wird der Tod festgestellt und die Ärzte gehen. Die Ehefrau ist zu diesem Zeitpunkt völlig fertig und meist erst einmal allein. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Das Leben steht Kopf! Sie braucht jemanden, der sie auffängt, einfach da ist.“
Geklärt werden Fragen wie: Was passiert jetzt? Wie geht es weiter? Wann kommt der Bestatter? Denn Krisenintervention bedeutet auch oft, Menschen zu informieren über Dinge, die ihnen fremd sind.Das hilft, Betroffene zu unterstützen, ihr akutes Lebenschaos zu strukturieren. „Wir geben Halt“, sagt Harald. So binden die Mitarbeiter auch das soziale Umfeld der Betroffenen ein, aktivieren etwa Nachbarn, Freunde oder Verwandte. „Ich war auch im Einsatz, als die ersten Tsunami-Heimkehrer am Flughafen ankamen. Die wollten nicht direkt ihre Geschichten erzählen“, erinnert sich Harald, „da ging es darum, wo sie schnell eine lange Hose herbekommen, sich waschen können, von wo aus sie telefonieren können. Unser Job ist eine Art Krisen-Management.“
Was sind besonders schwierige Momente?
Für Harald sind alle Fälle besonders belastend, in denen Kinder oder Jugendliche betroffen sind. Vor allem auch, wenn es um Suizide geht. „Es gibt so viele Fragen hinterher, so viele Betroffene, so viel Leid, in allen Bereichen, in denen sich derjenige bewegt hat“, sagt Harald, „ich kann wirklich nur an alle Jugendlichen appellieren, die sich in einer Lebenskrise befinden: Scheut euch nicht, darüber zu reden und euch Hilfe zu suchen. Denn die gibt es!“ Auch die jungen Drogentoten, deren Freunde und Angehörige er betreut hat, kann Harald nicht vergessen.
Welche Momente geben Kraft?
„Einer meiner ersten Fälle war eine junge Frau, 19 Jahre, die bei einem Autounfall starb. Ich war dabei, als den Eltern die Todesnachricht überbracht wurde. Die Situation eskalierte, es war chaotisch: Die Mutter wiederholte immer wieder, ihre Tochter könne nicht tot sein, der Vater schlug wieder und wieder seinen Kopf auf den Tisch.“ Harald schaffte es, die Eltern in diesem Schockzustand zu erreichen – zwei Wochen später schrieben sie ihm einen Dankesbrief. „Es ist wichtig da zu sein, aber die Menschen nicht zu bevormunden“, sagt er, „nur sie allein wissen, welche Reaktion für sie in dem Moment richtig ist.“ Ein älterer Mann, der beim Essen einen Schlaganfall erlitt und am Tisch an seinem Abendbrot erstickte, hatte einen Enkel in Berlin, der benachrichtigt werden musste. Harald managte das für die Familie. Jahre später erkannte die Tochter ihn bei einer Ausstellung und sagte: „Ich konnte mich sofort an ihre warme, ruhige Stimme erinnern.“ Und eine junge Familienmutter, deren Mann sich suizidiert hatte, traf ihn zufällig auf einem Parkplatz, fiel ihm um den Hals und dankte ihm.
Diese Momente bedeuten mir viel und geben mir Kraft.
Harald, Kriseninterventionshelfer
Warum sind so wenig junge Menschen in der Krisenintervention engagiert?
Es gibt eine Altersbeschränkung für die Krisenintervention: Helfer müssen mindestens 25 Jahre alt sein. Harald findet das richtig: „Wir brauchen Helfer mit Lebenserfahrung, die von den Betroffenen auch ernst genommen werden können. Man muss in sich gefestigt sein. Ich denke auch deshalb sind viele, die bei uns mitmachen und sich engagieren, schon über 30 Jahre.“
Gibt es Wünsche für die Zukunft?
Harald hat beobachtet, dass in Krisen „plötzlich Menschen zusammenstehen, die sonst eigentlich nichts miteinander zu tun haben“. Dennoch wünscht er sich noch mehr Hilfsbereitschaft – und auch Unterstützung durch die Politik gerade für Ersthelfer und Mitarbeiter in Rettungsdiensten: „Wenn sie aufgrund dieser hohen seelischen Belastungen erkranken, wird dies nicht als Berufskrankheit wahrgenommen und eingestuft. Es kann in meinen Augen nicht sein, dass sie alleine gelassen werden.“