Wie sieht dein Alltag seit deinem Unfall aus?

Timo: Mein Alltag ist eigentlich recht simpel: Entweder lerne ich das Programmieren oder ich habe Therapie. Und ich gehe mit Nemo raus.

Welche Dinge kannst du nicht mehr machen, die vorher möglich waren?

Timo: Ich kann in meinem alten Beruf nicht mehr arbeiten.

Nele: Einen Freizeitparkbesuch haben wir bisher nicht gemacht. Aber das ist eh nicht unser Ding. Mittlerweile machen wir es so: Wenn etwas nicht passt, dann versuchen wir immer einen Umweg zu finden. Wir haben es schon lange nicht mehr gehabt, dass wir etwas gar nicht machen konnten.

Timo: Man findet immer Alternativen und Auswege.

Was hast du vor deinem Unfall beruflich gemacht?

Timo: Ich war in der Ausbildung zum Fachinformatiker. Ich würde auch gerne in dem Business bleiben. Der Beruf als solcher hat mir sehr viel Spaß gemacht, aber heutzutage wäre ich dafür körperlich viel zu eingeschränkt. Ich kann nicht auf die Leiter klettern und Kabel verlegen. Mit nur einer Hand ist vieles nicht möglich.

Was sind für dich darüber hinaus Herausforderungen im Alltag?

Timo: Um es sehr allgemein zu formulieren: wie die Menschen auf mich reagieren. Mittlerweile geht es. Seit ich in Therapie bin, ist es schon besser geworden.

Nele: Ein paar Barrieren gibt es hier in Münster noch, wie zum Beispiel Treppenstufen. Am Anfang war auch das Busfahren schwierig, aber das ist mittlerweile deutlich besser geworden, weil immer mehr Leute ihre Hilfe anbieten.

Wie barrierefrei zum Beispiel Großstädte wie Köln sind, zeigt das Rollstuhlexperiment von Lukas und Tyron, die von Rollstuhltrainerin Marie begleitet wurden. Alles über das spannende Experiment lest ihr hier.

Weil sie dich, Timo, inzwischen kennen oder hat sich die Gesellschaft verändert?

Timo: Ich denke, sowohl als auch.

Nele: Und vielleicht auch, weil man selbstbewusst ran geht und im Bus sagt: „Könnte mal jemand die Rampe für mich rausfahren?“

Timo: Das Selbstbewusstsein habe ich auch durch Instagram bekommen. Das ist auf jeden Fall ein Vorteil.

Wie reagieren die Leute bei Instagram auf deinen Kanal?

Timo: Die Leute finden es gut und schreiben, dass ich mutig wäre und für Aufklärung sorge, weil ich ein bisschen Licht ins Dunkle bringe. Und ich bekomme ganz viel Lob, was ich damit eigentlich gar nicht bezwecken möchte. Ich möchte einfach nur zeigen: Wir sind auch normal.

Nele: Es ist cool, dass wir darüber auch neue Freundschaften finden. Als wir neu in die Gegend hier gezogen sind, haben wir von unterwegs Bilder bei Instagram gepostet. Daraufhin haben Leute uns geschrieben: „Das kenne ich auch. Wir können ja mal zusammen was machen“. Das ist ganz cool.

Timo: Und manche, die wir auf der Straße treffen, sagen auch: Wir folgen euch bei Instagram.

Besuche Timo, Nele und Nemo auf Instagram

Fotos, Reels und allerhand spannende Einzelheiten aus dem Alltag der drei findest du auf ihren Instagram-Kanälen: Hier geht es zu Assistenzhund Nemo, Timo und Nele.

Wie kamst du auf die Idee, den Instagram-Account zu machen?

Timo: Ich wurde damals mit dem Unfall ins kalte Wasser geschmissen und das wollte ich anderen ersparen. Ich wollte Tipps geben und Menschen helfen. Und ich wollte für Aufklärung sorgen. Denn so wie ich damals behandelt wurde, das ging gar nicht. Behinderung ist nicht gleich Behinderung. Viele stellen körperliche und geistige Behinderung gleich. Aber jede Behinderung ist individuell, so wie jeder Mensch individuell ist. Das hat damals keiner so recht verstanden. Man sollte nicht zu früh urteilen, wenn man Menschen mit Behinderung trifft. Und man sollte jedem Menschen eine Chance geben.

Nele: Der Hund hat übrigens auch einen eigenen Account, weil da auch noch viel Aufklärungsarbeit fehlt, was das Thema Assistenzhund betrifft.

Wobei assistiert Nemo dir?

Timo: Mir assistiert der Nemo durch das Apportieren von Gegenständen. Wenn ich zum Beispiel mein Portemonnaie verlege, dann muss ich nur sagen: Geld. Dann sucht er mir mein Portemonnaie oder alles andere – meine Schlüssel natürlich auch.

Nele: Und er zeigt die Epilepsie an. Das war der Hauptgrund, warum wir uns entschieden haben, einen Assistenzhund auszubilden. Und Nemo ist auch Begleitung. Wenn Timo mit Nemo im Führgeschirr geht, fühlt Timo sich sicherer und kann selbst ein paar Schritte gehen. Das ist sehr cool.

Timo: Im Grunde genommen gibt er mir einfach Sicherheit, wenn er mir anzeigt, dass gleich ein Anfall kommt.

Wie zeigt der Assistenzhund den epileptischen Anfall an?

Auf welche Weise Epilepsiehunde einen bevorstehenden Anfall Minuten (manchmal sogar Stunden) vorher erkennen kann, ist noch nicht geklärt. Und nicht alle Hunde sind dazu in der Lage. Wenn ein Epilepsiehund einen sich anbahnenden Anfall bemerkt, signalisiert er ihn zum Beispiel durch Winseln oder häufiges Lecken über das Gesicht seines Frauchens oder seines Herrchens.

Die Hunde sind häufig auch darauf trainiert, der betroffenen Person während des Anfalls zu helfen, indem sie zum Beispiel potenziell gefährliche Gegenstände aus dem Weg räumen oder anderen Menschen Bescheid geben. Hinter dem nachstehenden Link erhältst du weitere Informationen zum Thema Epilepsie. Begleithund können übrigens bei unterschiedlichen Erkrankungen zum Einsatz kommen. bei Diabetikerinnen und Diabetikern wie dem kleinen Theo.

Nele, du pflegst Timo. Wie kam es dazu?

Nele: Das hat sich so entwickelt. Vor allem in der ersten Zeit der Reha war ich jeden Tag dabei – zusammen mit Timos Mutter. Wir konnten uns viel vom Pflegepersonal abgucken. Und mit dem Gedanken, dass Timo ja irgendwann nach Hause kommt und wir ihm helfen werden, haben wir uns auch vieles zeigen lassen. Ein paar Dinge hatten sich dann auch erledigt: Die Magensonde wurde zum Beispiel wieder entfernt; damit mussten wir uns also nicht mehr beschäftigen. Zuerst hatte Timo noch bei seiner Mutter gewohnt, dann sind wir ins betreute Wohnen gezogen. Da hatte Timo Unterstützung und ich musste nicht so viel machen. Dann irgendwann habe ich gesagt: Jetzt schaffe ich alles allein, und wir sind ausgezogen. Das funktioniert auch gut. Es ist jetzt auch nicht mehr so viel zu machen wie früher. Beim Anziehen und Duschen unterstütze ich Timo.

Ihr wohnt jetzt in einer eigenen Wohnung?

Timo: Wir wollten erst mal schauen, ob es klappt, mit mir alleine zu wohnen.

Nele: Dann haben wir uns von Wohnung zu Wohnung immer weiterentwickelt. Die Wohnungen sind immer größer geworden. Wir sind dreimal innerhalb von Münster umgezogen, weil wir anfangs nichts Barrierefreies gefunden haben.

Timo: Die Wohnung jetzt ist wirklich der Hammer, was Barrierefreiheit angeht und auch die Nachbarn. Das ist wirklich super hier!

Wie lange seid ihr zusammen?

Timo: In diesem Jahr im Juni sind es sieben Jahre. Vor dem Unfall waren wir drei Monate zusammen.

Wie beeinflusst es eure Beziehung, dass Nele dich pflegt?

Timo: Gar nicht.

Nele: Das kam einfach so. Ich hatte ja nicht so viel Auswahl, aber ich habe damals auch wenig Berührungsängste gehabt, muss ich sagen. Das war sicherlich ein Vorteil. Schwieriger war es für Timos Mutter.

Timo: Ja, für meine Mutter war das schlimmer. Nele hat sich damit gut arrangiert.

Wie hat sich euer Freundeskreis verändert seit dem Unfall?

Timo: Darüber brauchen wir gar nicht lange reden, das ist schnell gesagt: Die Freunde sind alle weg. Zwei, drei sind geblieben. Aber durch den Nemo haben wir neue Freunde gefunden.

Nele: Auch durch mein Studium haben wir neue Freunde gefunden. Momentan sind wir sozial sehr gut aufgestellt, aber die Freunde von früher sind alle weg. Man entwickelt sich ja auch weiter. Jetzt haben wir neue coole Menschen in unserem Leben, die uns alle sehr wohlgesonnen sind.

Gibt es etwas, für das du dankbar bist, weil du es ohne deinen Unfall vielleicht nicht erlebt hättest?

Timo: Nemo. Überhaupt so jung schon einen Hund zu bekommen, das ist cool und das hätte ich ohne den Unfall nicht gehabt.

Nele: Wir hätten uns sonst vermutlich nicht jetzt schon für einen Hund entschieden.

Timo: Später, vielleicht mit 30.

Nele: Ohne Unfall hätte Timo auch nicht so viel Zeit für einen Hund.

Dein Ziel ist es, irgendwann ohne Hilfsmittel durchs Leben zu gehen?

Timo: Ja, das ist mein Ziel. Egal, wie lange es dauert. Es wäre ja schade, wenn das nicht ein Ziel wäre.

Wo finden junge Menschen mit Pflegebedarf Hilfe?

Die meisten Pflegeeinrichtungen sind auf ältere Menschen ausgerichtet. Einrichtungen für junge Leute gibt es noch nicht so viele in Deutschland. Grundsätzlich kann ein Austausch zwischen Jung und Alt zwar spannend sein, dennoch haben junge Menschen andere Bedürfnisse und sind oft auch lieber in einer stationären Einrichtung speziell für junge Menschen. Mehr Infos über die Betreuungsmöglichkeiten für junge Pflegebedürftige findest du hier. Mehr über das Thema "Junge Pflege" sowie Unterstützungsangebote der Malteser findest du auch hier.


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