Studienbegleitung: Unterstützung im Uni-Alltag
Andrea Sahlmen ist Online-Redakteurin bei der Neuen Westfälischen Tageszeitung in Bielefeld. Ihr Studium dafür hat sie in Köln absolviert. Damals wie heute hat sie Assistentinnen und Assistenten an ihrer Seite, die sie unterstützen, da sie im Rollstuhl sitzt. Wir haben mit ihr über die Begleitung während ihrer Studienzeit gesprochen.
Darum geht’s:
- Wofür brauchst du eine Assistenz?
- Was hat deine Assistenz im Studium für dich gemacht?
- Wer hat dich während deines Studiums begleitet?
- Was war dir bei deiner Assistenz besonders wichtig?
- Hätten dir nicht auch deine Kommilitoninnen und Kommilitonen helfen können?
- Was kann jede und jeder Einzelne im Alltag tun, um begleiteten Personen das Leben zu erleichtern?
- Welche Wünsche oder Forderungen hast du an das Bildungssystem?
- Wie gehen Kinder und Jugendliche mit deiner Behinderung um?
Wofür brauchst du eine Assistenz?
Ich bin 2013 zum Studieren nach Köln gegangen und gleichzeitig das erste Mal von zu Hause ausgezogen. Ich habe eine Muskelerkrankung und brauche bei allem, was man sich nur so vorstellen kann, Hilfe.
Auch bei einfachen Sachen wie beim Brot schmieren. Darum stand fest, dass ich eine 24-Stunden-Assistenz brauchte; worin die Studienassistenz inkludiert war.
Die Personen, die mich begleitet haben, sind also auch mit mir zur Uni gekommen. Das lief damals über einen Pflegedienst, heute hingegen über einen Assistenzdienst.
Was hat deine Assistenz im Studium für dich gemacht?
Wenn ich den Laptop brauchte, hat mir die Assistenz den hingestellt oder einen Block zum Schreiben hingelegt. Wenn ich etwas trinken wollte, hat sie mir etwas zum Trinken gegeben. Wenn wir Ausflüge gemacht haben, ist sie mitgekommen. Wir hatten zum Beispiel auch Kurse zum Thema Video. Ich selbst kann die Kamera nicht halten. Dabei musste mir die Assistenz helfen, sie hat die Kamera für mich festgehalten und für mich gefilmt und ich habe gesagt, was sie tun muss.
Wer hat dich während deines Studiums begleitet?
Das waren mehr oder weniger die gleichen Personen, die mich im Alltag unterstützt haben –so im Durchschnitt fünf. Im Prinzip sind das Menschen aus den unterschiedlichsten Jobs. Während des Studiums hatte ich zwei Mädchen, die ein FSJ gemacht haben, aber auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Manchmal waren es auch Studierende, die nur ein oder zwei Tage Uni hatten und sich etwas dazuverdienen wollten. Mütter hatte ich auch schon, wobei es da immer darauf ankam, wie alt die Kinder waren. Es war eine komplett bunte Mischung von Menschen aus allen Lebensbereichen.
Was war dir bei deiner Assistenz besonders wichtig?
Wichtig war mir immer eine gewisse Präsenz, aber auch, dass sich die Assistenz zurücknehmen konnte. Ich hatte mal eine Person, die in der Uni plötzlich aufzeigte und irgendwelche Antworten gab. Ich dachte: „Hallo?! Du bist für meine Unterstützung hier und nicht, um an der Vorlesung teilzunehmen.“ Das war total skurril und wollte ich natürlich nicht.
Ich möchte, dass die Assistenz für mich da ist und – wie ich immer sage – dass sie meine Arme und Beine bei dem unterstützt, was ich selbst nicht kann. Dafür ist die Assistenz da. Aber sie ist nicht dafür da, für mich mitzudenken oder für mich an der Vorlesung teilzunehmen. Das kann ich schon selbst.
Außerdem ist mir Diskretion wichtig. Es sollte niemand herumerzählen, wie ich gerade in der Uni war. Das gehörte für mich zu den wichtigsten Dingen, die eine Assistenz mitbringen sollte.
Daten, Zahlen, Fakten
Circa 1,5 Millionen Menschen sind im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen und noch immer werden Menschen, die einen Rollstuhl wegen ihrer Behinderung benötigen, diskriminiert. Das bestätigen auch die Zahlen des aktuellen Antidiskriminierungsberichts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Im letzten Jahr gab es mit rund 1.800 Fällen (32 Prozent) am zweithäufigsten Anfragen zur Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten. Platz 1 belegen Anfragen zur Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft (Stand: August 2022).
Hätten dir nicht auch deine Kommilitoninnen und Kommilitonen helfen können?
Theoretisch ja, aber ich wollte schon selbstständig sein und bei den anderen Mitstudierenden nicht immer als Bittstellerin dastehen. Das ist anstrengend. Bei uns an der Uni war es sehr familiär. Wir waren nur 30 Leute im Kurs und hatten wie in der Schule alle Kurse zusammen. Aber gerade an der Uni, wo man viele unterschiedliche Kurse hat, ist es ein sehr hoher Aufwand, wenn man sich immer überlegen muss, wen könnte ich im Kurs fragen? Der eigentliche Sinn der Assistenz ist ja, dass ich selbstständig bin. Es ist schon besser, wenn man Leute dafür hat, die dafür auch bezahlt werden. Dann muss ich kein schlechtes Gewissen haben, dass ich Leute um Hilfe bitten muss.
Was kann jede und jeder Einzelne im Alltag tun, um begleiteten Personen das Leben zu erleichtern?
Hilfe anbieten geht immer. Wenn man sieht, dass da jemand Hilfe benötigt, kann man immer Unterstützung anbieten. Wenn derjenige oder diejenige dann aber sagt: „Nee, ich komme klar“, dann ist das auch gut. Ich finde es aber immer wichtig, nicht ungefragt etwas zu machen. Das ist oft übergriffig und man fühlt sich schnell bevormundet. Auch wenn es nett gemeint ist, ist es trotzdem manchmal nicht so schön. Nachfragen ist da schon deutlich angenehmer. Wenn man im Kurs sitzt und es fällt einem der Stift runter, dann kann natürlich auch mal jemand aus dem Kurs helfen.
Was ich auch wichtig finde, dass man nicht ausschließlich mit der Assistenz spricht. Das erlebt ich leider auch oft, dass ich als Rollstuhlfahrerin übergangen werde und die Menschen denken – ja, ich weiß auch nicht genau … vielleicht, dass ich nicht reden kann? Mir ist es wichtig zu betonen, dass man die Betroffenen immer direkt ansprechen sollte und nachfragt, ob er oder sie Hilfe braucht.
Welche Wünsche oder Forderungen hast du an das Bildungssystem?
Gerade in Kindergärten und Schulen muss in Sachen Inklusion noch viel passieren. Ich hatte das Glück, dass ich an normalen Regelschulen angenommen wurde, weil die Schulleitungen da immer sehr offen waren und viel möglich gemacht haben. Aber das ist nicht überall so. Bei – ich sage mal – nur körperlich behinderten Menschen ist es eigentlich leicht, dass sie an Regelschulen angenommen werde, was für den beruflichen Werdegang besser ist. Es ist nun leider so, dass man an Sonder- oder Förderschulen später schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.
Zudem muss gerade bei Menschen mit körperlicher Behinderung baulich noch viel an den Schulen gemacht werden. Ich finde es wichtig, dass man vielen behinderten Menschen die Möglichkeit gibt, auf Regelschulen zu gehen, damit diese auch dem „regulären“ Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können und bessere Chancen dort haben. Das ist doch auch die Basis dafür, einen Beruf zu erlernen oder ein Studium aufnehmen zu können. Wenn Kinder in Kindergärten und Grundschulen mit Kindern mit Behinderung in Verbindung kommen, ist das nichts Ungewöhnliches für sie. Sie gehen damit viel normaler um, als Erwachsene, die noch nie etwas mit einem Menschen, der eine Behinderung besitzt, zu tun hatten. Darum bin ich ein großer Fan von Kindergärten, wo alle Kinder, also eben auch Kinder mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen und Bedürfnissen, zusammen spielen und lernen können. Ich glaube, das ist die Basis für eine inklusive Gesellschaft.
Wie gehen Kinder und Jugendliche mit deiner Behinderung um?
Ich kenne zwei Kinder von einer Gruppenreise. Sie sind von ihrer frühesten Kindheit an mit Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern aufgewachsen. Als das eine Mädchen damals fünf war, habe ich sie vom Kindergarten abgeholt und stand mit ihr auf dem Spielplatz. 30 Kinder standen um mich rum, schauten mich an und fragten: „Was ist das? Warum sitzt du da drin? Wie furchtbar!“ Das Mädchen sagte zu den anderen Kindern: „Das ist meine Freundin. Sie kann nicht laufen, deswegen sitzt sie im Rollstuhl. Können wir jetzt gehen?“ Das war für sie völlig normal. Für die anderen Kinder war es dann auch in Ordnung, nach dem Motto: „Ach so, sie kann nicht laufen, darum sitzt in Rollstuhl. Ja, dann ist ja gut.“ Und dann sind sie wieder spielen gegangen. Das erzähle ich immer wieder ganz gerne, weil mir das zeigt: Wenn Kinder in der Kindheit mit behinderten Menschen in Berührung kommen, ist das für sie total normal. Ich glaube aber, in dieser Hinsicht muss noch viel mehr passieren.
Der Schulbegleitdienst der Malteser
Selbstständigkeit ist für Menschen ohne Behinderung selbstverständlich. Für Menschen mit Behinderung sollte das genauso sein. Andrea wurde zwar nicht von den Maltesern begleitet, aber auch diese bieten eine Begleitung während des Studiums an. Der Schulbegleitdienst der Malteser unterstützt Kinder, Jugendliche und junge Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung im Schulalltag, im Kindergarten oder Menschen wie Andrea im Rahmen ihres Studiums. Die Betroffenen sollen auf diese Weise ihren Alltag mit größtmöglicher Selbstständigkeit meistern.