Wenn todkranke Kinder erwachsen werden: Transition in der Palliativmedizin

Wenn Kinder mit einer lebensverkürzenden Erkrankung erwachsen werden, wechseln sie von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin. Welche Herausforderungen es bei dieser Transition gibt und wie Angehörige den Übergang fördern können, erklärt Elke Schellenberger, Leitung des Malteser Kinderpalliativteams Unterfranken, in unserem Interview.

Darum geht's:


Was bedeutet Transition?

Wenn Kinder eine lebensverkürzende Krankheit haben, werden sie von Kinder- und Jugendmedizinerinnen und -medizinern betreut. Ab einem gewissen Alter gehen sie jedoch von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin über. Dieser Übergang wird Transition genannt und bedeutet eine große Veränderung im Leben von Familien schwer kranker junger Menschen. Wir haben mit Elke Schellenberger, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und ärztliche Leitung des Malteser Kinderpalliativteams Unterfranken, darüber gesprochen, wie die Transition gelingt und worauf betroffene Familien achten sollten.

Wann findet die Transition von der Kinder- zur Erwachsenenmedizin statt?

Im medizinischen Bereich liegt die Grenze zwischen der Kinder- und der Erwachsenenmedizin grundsätzlich bei 18 Jahren, sagt Elke Schellenberger Das gilt erst einmal auch für junge Menschen mit einer lebensverkürzenden Krankheit. Es gibt allerdings Ausnahmen, etwa, wenn jemand die sehr schwere Erkrankung schon im Kindesalter erworben hat oder in Bezug auf die geistige und körperliche Entwicklung noch eher einem Kind als einem Erwachsenen entspricht. Dann können Betroffene teilweise auch noch als junge Erwachsene in der Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche betreut werden. Wie lange genau, das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Endlich ist diese Betreuung aber immer. Alle betroffenen Familien sollten sich daher rechtzeitig mit dem Thema Transition befassen. Also dem Übergang von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin.

Was heißt rechtzeitig?

Ein oder noch besser zwei Jahre bevor die aktuelle Betreuungssituation, zum Beispiel in einem Internat für körperbehinderte Kinder, endet. Spätestens dann sollte man die Fühler ausstrecken und Folgeeinrichtungen anschauen. Denn die Wartelisten der spezialisierten Einrichtungen sind in der Regel sehr lang, zudem müssen zahlreiche Anträge gestellt werden. Auch das kostet Zeit. Die Überleitung in Versorgungsstrukturen für Erwachsene ist wichtig für Betroffene – aber generell in Deutschland extrem schwierig.

Warum ist das so?

Es fehlen flächendeckend spezialisierte Folgeeinrichtungen, die geeignete Wohn- und Fördermöglichkeiten für junge Erwachsene mit lebensverkürzenden Erkrankungen bieten und eine entsprechende pflegerische und medizinische Expertise haben. Wir können die jungen Menschen nicht einfach in ein normales Pflegeheim verlegen. Dort leben nur Seniorinnen und Senioren, die Pflegekräfte sind in der Regel nicht für die Betreuung junger Menschen mit schwerer Erkrankung ausgebildet. Diese haben völlig andere Bedürfnisse an den Alltag und die Pflege. Sie haben oft einen sehr hohen Pflegebedarf, brauchen auf sie zugeschnittene Tagesstrukturen und auch die Möglichkeit, sich einzubringen und zu entwickeln. Etwa in Tagesförderstätten. Im Schulalter gibt es tolle Angebote und auch viel Hilfe und Unterstützung für die Familien. Für junge Erwachsene mit schweren Erkrankungen sieht das leider völlig anders aus. Oft bleibt als einzige Lösung, dass die Betroffenen wieder zurück in ihr Elternhaus ziehen. Das sollte nicht das Ziel sein.

Warum ist das problematisch?

Jeder Mensch hat ein Recht auf Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Beides bedeutet schließlich auch Teilhabe. Sich von der Familie loszulösen, andere soziale Beziehungen aufzubauen, das gehört zum Erwachsenwerden dazu – auch für junge Menschen mit schweren Krankheiten, gibt Elke Schellenberger zu bedenken Idealerweise werden die Betroffenen selbst nach und nach zum Hauptansprechpartner für das Behandlungsteam und nicht mehr die Eltern. Das stärkt die Selbstverantwortung. Gleichzeitig sollten sich die Eltern im Zuge der Transition schrittweise von der Rolle der Hauptverantwortlichen hin zu einer Art Berater entwickeln. Der Rückzug in die Familie blockiert all das und tut in der Regel niemandem auf Dauer gut. Das Loslassen wird dadurch für alle Beteiligten immer schwerer.

Wie können Angehörige die Transition fördern?

Vor allem, in dem sie sich auf den Prozess einlassen und bereit sind, Verantwortung abzugeben. Es ist eine Haltungsfrage. Muss das Kind zurück nach Hause ziehen, ist es wichtig, Hilfe anzunehmen, um das häusliche Setting zu verbessern.

Welche Unterstützung gibt es für betroffene Familien?

Eine sehr wertvolle Unterstützung ist die Hospizbegleitung. Viele haben da leider Vorbehalte und nehmen sie aus Angst nicht in Anspruch. Dabei bedeutet Hospizbegleitung nicht, dass jemand demnächst stirbt. Sie kann über Jahre gehen. Auch ambulante Pflegedienste können für Angehörige eine große Entlastung sein. Übergeordnet sind nicht zuletzt auch die Krankenkassen gefragt, die Versorgung junger Menschen mit schweren Krankheiten anders zu fördern. Wichtig wäre etwa zu überlegen, wie die Betroffenen in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) mitversorgt werden könnten.

Warum findet das bislang nicht statt?

Die Krankenkassen genehmigen die SAPV nur für die allerletzte Lebensphase. Das Problem ist aber, dass bei den jungen Erwachsenen mit lebensverkürzenden Krankheiten oft niemand weiß, wann das genau ist. Sie fallen durch das Raster. Wenn sie grundsätzlich in der SAPV mitversorgt werden würden, wäre das eine große Entlastung für das gesamte System.

Fehlt den Betroffenen eine Lobby?

Auf jeden Fall, meint Elke Schellenberger. Junge Erwachsene mit lebensverkürzenden Krankheiten, mal abgesehen vielleicht von Krebserkrankungen, haben keine Lobby. Es fehlt das Bewusstsein der Gesellschaft dafür, dass es sie gibt und wir sie unterstützen müssen. Ihre Krankheitsbilder sind so verschiedenen und oft so speziell – das isoliert. Eltern haben Hemmungen, nach außen zu gehen. Ich wünsche mir, dass das Thema insgesamt bekannter wird und sich mehr Menschen den Betroffenen annehmen.

Palliativversorgung der Malteser

Die Malteser bieten eine stationäre und eine ambulante Palliativversorgung an, um die Begleiterscheinungen schwerer Krankheiten zu lindern. Mehr Infos dazu findest du auch in diesem Artikel.


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