Psychosoziale Notfallversorgung: Die Ersthilfe für Psyche und Seele
Naturkatastrophen wie das Hochwasser im Westen Deutschlands sind für alle Betroffenen ein schwer zu verkraftendes Erlebnis. Neben technischer und medizinischer Hilfe brauchen sie dringend auch psychische Unterstützung. Dafür gibt es die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). Marco Limberger stand als Seelsorger der Malteser den Betroffenen im Hochwassergebiet bei.
Darum geht's:
Was ist die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)?
Dieser Begriff beschreibt alle Maßnahmen und Hilfsangebote im Bereich der psychischen und sozialen Verarbeitung von Notfallsituationen. Es geht darum, Menschen während und nach einem schockierenden Ereignis dabei zu helfen, das Erlebte psychisch zu verarbeiten. Ein Beispiel: Es passiert ein schlimmer Verkehrsunfall, bei dem sogar jemand stirbt. Dann kommen zuerst Rettungskräfte wie Feuerwehr, Polizei und der Rettungsdienst an den Unfallort. Sie leisten medizinische und technische Hilfe, also sperren die Unfallstelle ab, versorgen Verletzte, bringen sie ins Krankenhaus, befragen Zeugen und räumen die Unfallstelle. Damit ist der Unfall aber noch nicht vorbei. Das, was die Menschen dort vor Ort sehen und erleben, kann sehr belastend für sie sein und sie noch lange Zeit verfolgen.
Gleiches gilt für Angehörige, die nach dem Unfall die Nachricht über den Tod eines nahestehenden Menschen erhalten. Aus so einer schockierenden Situation kann später ein Trauma entstehen. Die Helfenden der PSNV sollen genau das verhindern, indem sie die Betroffenen so schnell wie möglich psychisch und seelisch unterstützen. Betroffen sind übrigens nicht nur Patientinnen und Patienten, Angehörige, Hinterbliebene und Augenzeuginnen und Augenzeugen, sondern genauso auch die Einsatzkräfte der Hilfsorganisationen.
Die PSNV gliedert sich in zwei Schwerpunkte. Bei der sogenannten Krisenintervention werden die Betroffenen unterstützt. Die sogenannte Einsatznachsorge konzentriert sich auf die Einsatzkräfte. Sie sollen ihre Erlebnisse aus den Einsätzen hinterher gut verarbeiten können. Denn nur wenn sie stabil sind, können sie auch in Zukunft ihr Bestes geben, um anderen Menschen zu helfen.
Zwischen helfen und selber Hilfe brauchen
Marco Limberger ist Theologe und war als Seelsorger im Rahmen der PSNV für die Malteser in den Hochwassergebieten im Einsatz. „Der erste zu Betreuende war ein Herr, der am Flussufer die ganze Nacht auf dem Dach saß und Baumstämme, Autos und Tanks gegen sein Haus rumoren hörte. Er hatte Angst, dass das Haus zusammenbricht, aber das Haus blieb stehen. Als er morgens rauskommt, sieht er eine angeschwemmte tote Person vor seiner Tür liegen.“ Marco redet mit ihm über diesen Schock, versucht ihn aufzufangen. „Wir sind da, um in den ersten Stunden Halt zu geben, zuzuhören und uns anzuhören, was die Menschen gefühlt haben“, sagt Marco. Der Seelsorger gibt den Betroffenen Tipps, wie sie mit dem Ereignis umgehen können und wieder ein Stück weit zur Normalität zurückfinden. Außerdem, sagt Marco, wird den Betroffenen erklärt, was noch auf sie zukommen könnte: „Da werden alle Stresshormone ausgeschüttet, die wir so haben. Bis die abgebaut sind, dauert es. Dann kommen wir ins Spiel und erklären: Ihr werdet vielleicht schneller wütend, ihr seid schneller traurig. So wissen die Leute: Was sie gerade fühlen ist normal – nach einem völlig unnormalen Ereignis.“
Auch die Rettungskräfte brauchen Hilfe
Als Theologe ist Marco zusätzlich für die Einsatznachsorge ausgebildet und unterstützt auch Rettungskräfte. Er arbeitet nach einer speziellen Methode namens CISM (Critical Incident Stress Management). Das ist ein standardisiertes Verfahren, nach dem auch die Vereinten Nationen und andere Hilfsorganisationen arbeiten. Während seines Einsatzes im Hochwassergebiet betreute Marco die Besatzung eines Rettungswagens, die in Gefahr geraten war: „Ich hatte eine Besatzung, deren Rettungswagen versunken war, also bis zur Unterkante der Fensterscheibe im Wasser stand. Beim Aussteigen sah der Fahrer einen Baumstamm auf sich zu treiben, der ihn nur knapp verfehlte. Obwohl sie selbst in Lebensgefahr war, hat diese Rettungswagenbesatzung den Patienten noch ins Krankenhaus gebracht, der hinten drin war. Da habe ich schlucken müssen und dachte: Respekt!“.
Auch die Helfenden in der PSNV sehen und hören Dinge, die nicht immer leicht zu verarbeiten sind. Darum gibt es auch für sie Unterstützung. „Wir sprechen generell sehr viel miteinander und gerade jetzt auch noch mal vermehrt“, sagt Marco. „Und wir können selber eine Supervision in Anspruch nehmen, also eine externe Hilfe, mit der wir reden können. Wir laufen immer auf der Linie zwischen helfen und selber Hilfe brauchen. Ich habe mir außerdem angewöhnt, wenn ich zu einem Einsatz gehe, immer meine Notfallseelsorge-Jacke anzuziehen. Dann ist für mich klar: Ich bin jetzt unterwegs, um Leuten beizustehen. Wenn ich aus dem Einsatz rausgehe, schließe ich das mit einem Gebet ab. Dann ziehe ich die Jacke bewusst aus und lege sie beiseite, um mir klarzumachen: Du bist nicht mehr im Einsatz. Das hilft."
Seelsorger in der PSNV werden
Es ist kein leichtes Ehrenamt, darum ist eine längere Ausbildung nötig. Bis man eigenständig arbeiten darf, dauert es zwei Jahre. Die Malteser bieten eine modulare Ausbildung in der Psychosozialen Notfallversorgung an. Weil in diesem Bereich starke Nerven und auch eine gewisse Erfahrung nötig ist, musst du für dieses Ehrenamt mindestens 25 Jahre alt sein.