Interview

Fit fürs Alter: Ein Experte gibt Antworten

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Was passiert im Körper, wenn man altert?

Zu altern beginnen wir schon ab der Geburt. Unser ganzer Körper unterliegt einem physiologischen Alterungsprozess, der sich auf alle Ebenen bezieht: auf Zellebene, die der Organsysteme, auf deren Funktionen und auf den Gesamtorganismus. Die augenscheinlichste Veränderung dabei ist die Haut, an der wir bewusst oder unbewusst schätzen, wie alt jemand ist. Manchmal liegen wir mit unseren Schätzungen nicht richtig – denn Alterungsprozesse verlaufen individuell. Das hat einerseits genetischen Gründe, andererseits hängt es auch mit unserem Lebensstil und der Umwelt zusammen. In diesen Alterungsprozessen haben wir eine große Schwankungsbreite: Es gibt 40-Jährige, die haben schon graue Haare, und 60-Jährige, die haben wenig graue Haare.

Und was sind gängige Veränderungen im Alter?

Etwas ganz Zentrales bei uns ist der Bewegungsapparat, denn mit ihm können wir selbstbestimmt leben. Zum Beispiel nimmt die spontane Gehgeschwindigkeit mit zunehmendem Alter ab, genau wie unsere Muskelkraft. Auch das Hörvermögen und die Nierenleistung sinken. Und unser Durstgefühl lässt nach. Das ist ein Grund, warum viele ältere Menschen wenig und manchmal zu wenig trinken. Physiologische Alterungsprozesse dürfen aber nicht verwechselt werden mit Krankheiten. Altersveränderungen betreffen uns alle.

Welche Krankheiten kommen häufig vor?

Die Wahrscheinlichkeit, Erkrankungen zu erleiden, nimmt mit dem Alter leider zu. Die häufigsten Alterserkrankungen sind Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, sie machen mindestens 50 Prozent aus. Die andere häufige Erkrankung im Alter ist die bösartige Neubildung, also Tumore. Hinzu kommen dementielle Erkrankungen. In unserem Zentrum für Altersmedizin haben wir genau dieses Spektrum. Das Typische des hochaltrigen Menschen: Multimorbidität, also der Patient hat nicht nur eine Krankheit, sondern er hat mehrere Krankheiten und darin besteht dann unsere Kunst als Altersmediziner, dass wir die Wechselwirkungen und die Zusammenhänge verstehen. Wir müssen sozusagen nicht nur den Wald vor lauter Bäumen, sondern auch vor lauter Wald die Bäume sehen. Ein weiteres großes Thema sind Verletzungen im Alter.

Zum Beispiel Stürze?

Die meisten Stürze gehen glücklicherweise gut aus, ein paar blaue Flecken oder eine Prellung, das wird schon wieder von allein gut. Aber: Was wir im Alterstrauma-Zentrum, das wir gemeinsam mit der Unfallchirurgie betreiben, sehen, sind alle möglichen Knochenbrüche. Zum Beispiel den gefürchteten Oberschenkelhalsbruch. Wir rechnen in Deutschland jährlich mit zwischen 100.000 bis 200.000 Oberschenkelhalsbrüchen.

Kann man vorbeugen?

Da wissen wir ganz viel von der Forschung. Allgemein können wir Mediziner empfehlen: In Bewegung bleiben, viel rausgehen – auch für das Vitamin D –, gesunde Mischkost essen, damit genügend Nährstoffe vorhanden sind, zum Beispiel Eiweiß, Spurenelemente und Vitamine. Und: soziale Kontakte pflegen. Es gibt so viele Möglichkeiten, zum Beispiel Training für Seniorinnen und Senioren. Fordern Sie sich auch mal ein wenig heraus.


Es geht nicht darum, dass alle die statistisch möglichen 125 Jahre erreichen. Es geht um Lebensqualität und diese zu erhalten. Um ein selbstbestimmtes Leben, das ist ganz wichtig. Und das ist, was wir mit diesen Präventionsmaßnahmen erreichen.


Tipps fürs Alter von Prof. Dr. Gaßmann:

  • Bewegung: Optimal ist Ausdauertraining mit leichtem Krafttraining, und wenn man regelmäßig spazieren geht, dann ist das gut.
  • Ernährung: gesunde Mischkost mit viel Obst und Gemüse, wenig Fleisch.
  • Mit Genussmitteln sparsam umgehen: Alkohol äußerst sparsam, Rauchen: no way
  • Kennen Sie Ihre Risikofaktoren. Diese kann man heute wunderbar behandeln, zum Beispiel Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen. Über 50 Prozent der Herzkreislauferkrankungen könnten wir vermeiden. Aber man muss auch über seine Risikofaktoren Bescheid wissen und die eigenen Werte kennen.
  • Vorsorge betreiben: Je früher man eine Krebserkrankung erkennt, desto besser sind die Heilungschancen.
  • Impfungen: Zum Beispiel gegen Grippe, Pneumokokken, und den Impfschutz regelmäßig auffrischen.

Ist es nicht normal, dass man mal stürzt?

Wenn man fällt, ist das eine rote Flagge. Weil wir ein hohes Risiko haben, dass es wieder geschieht – und irgendwann kommt es dann zu einem Knochenbruch. Also, was können die tun, die einmal gestürzt sind? Ein Drittel aller Senioren, also der über 65-Jährigen, die noch zu Hause leben, fallen einmal im Jahr. Mit zunehmendem Alter haben wir einen steilen Anstieg an Stürzen. Wenn ein Sturz passiert ist, muss man genau hinschauen. Ein Sturz ist meistens nicht einfach ein Unfall, wir müssen schauen, was die Ursache ist. Entweder man wird bewusstlos, oder man rutscht aus, oder – und das ist die Hauptursache mit 85 Prozent – es ist ein Problem des Gehens, meist bedingt durch Erkrankungen, zum Teil auch durch Altersveränderungen.

Was meinen Sie damit?

Patienten erzählen oft „Ach ja, ich bin zu Hause gestürzt, wissen Sie, ich bin am Teppich hängen geblieben“ – darauf frage ich, wie lange der Teppich denn dort schon liegt? 50 Jahre? Wie oft sind die Patienten über diesen Teppich gegangen? Es ist also keine äußere Sturz-Ursache, sondern ein Problem des Gangvermögens. Und das kann viele Ursachen haben: Gleichgewicht, Koordination, Reaktionsgeschwindigkeit, Muskelkraft – oder es besteht eine Erkrankung. Ich muss wissen, woran es liegt, dann kann ich es gut behandeln. In unserem Alterstraumzentrum haben wir dafür sogar ein Mobilitätslabor mit Ganganalyse.

Sollte man also im Alter noch trainieren?

Ja unbedingt, denn wir können Gleichgewicht, Koordination und auch, das ist eine Erkenntnis der Altersforschung, die Muskelkraft trainieren. Früher galt das als unmöglich oder gefährlich – das sei bei Älteren nicht gut fürs Herz. Wir stellen uns auch gleich die „Muckibude“ vor und schwere Gewichte. Ich brauche dafür aber keine Gewichte und auch kein Fitnessstudio. Wir zeigen Patienten Übungen, die sie lernen und zu Hause im Alltag fortsetzen können. Die Übungen von MoSi (Mobilität und Sicherheit im Alter) haben wir hier am Waldkrankenhaus in Erlangen entwickelt. Die älteren Menschen können das im Kurs zweimal pro Woche erlernen, nach fünf Wochen ist es vorbei, also überschaubar. Die Übungen werden dann in häuslicher Umgebung weiter selbst durchgeführt. Und dazu gibt es auch YouTube-Videos für zu Hause.


Muskelkraft, Gleichgewicht, Koordination – das ist das magische Dreieck. Wir haben Übungen für zuhause konzipiert, die so ausgelegt sind, dass Sie jeden Tag etwas machen können. Dazu brauchen Sie nur einen Stuhl mit Lehne, der fest steht. So können Sie ein Krafttraining, zum Beispiel beim Nachrichten gucken, machen. Und wir haben von der Altersforschung gelernt: Es schützt, soziale Kontakte zu pflegen. Das hat gute Effekte auf den Körper und die geistige Leistungsfähigkeit.


Was sollte man nach dem Sturz machen?

Ein wichtiger Punkt nach einem Sturz ist, das Selbstbewusstsein wieder zu stärken. Viele Ältere, die gestürzt sind, haben danach Angst wieder zu stürzen – und bleiben lieber im Sessel sitzen. Aber alles, was man nicht macht, verlernt man, und dadurch wird man unsicherer. Und dagegen helfen auch die Übungen von MoSi.

Lassen Sie eine Osteoporose abklären, denn diese Erkrankung nimmt mit dem Alter zu und sie tut nicht weh. Wichtig ist auch, das Sehvermögen überprüfen lassen. Was ganz banal ist, machen aber viele ältere Menschen nicht. Beim Treppen gehen keine Gleitsichtbrille tragen, das ist besonders beim Hinuntergehen gefährlich. Und beseitigen Sie Stolperfallen in der Wohnung, zum Beispiel die rutschige Badematte. Das sind, wie bereits erklärt, keine Ursachen, aber Auslöser für Stürze. Installieren Sie kleine Lichter mit Bewegungsmelder für nachts, wenn Sie mal aufstehen müssen. Das letzte Mittel sind dann Hilfsmittel wie eine Hüftschutzhose oder der Rollator. Aber wenn er zu früh eingesetzt wird, verlernt man das Gleichgewicht.


Zur Person

Prof. Dr. med. Karl-Günter Gaßmann ist Chefarzt am Waldkrankenhaus Erlangen und Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie, Klinische Geriatrie, Psychiatrie, Psychotherapie sowie Notfallmedizin.