Würzburg/Köln/Mayotte. „Das war die härteste Woche, die ich bislang erlebt habe, aber doch auch so erfüllend.“ Das ist das Fazit, das Kilian Müller nach seinem ersten Auslandseinsatz für und mit Malteser International zieht. Seit dem 16. Januar ist der Höchberger wieder zurück in Deutschland. Davor war er fast zehn Tage in Mayotte. Mayotte – wo liegt Mayotte? Das musste der 30-Jährige auch erst einmal im Internet herausfinden, als die Einsatzanfrage kam. Der verheerende Zyklon, der Auslöser für den Einsatz von Malteser International war, war in den deutschen Medien nur eine Randnotiz wert. Chido, wie der tropische Wirbelsturm genannt wurde, war Mitte Dezember mit Sturmböen mit einer Geschwindigkeit von mehr als 220 Stundenkilometern über die französische Inselgruppe Mayotte im Indischen Ozean und den Norden von Mosambik gefegt und hatte eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. „Besonders schwer hat es die vielen Geflüchteten von den Komoren getroffen“ erzählt Müller. Sie kämen in der Hoffnung auf ein besseres Leben in dem französischen Überseegebiet nach Mayotte und fristeten dann als Illegale in riesigen Slums ein Leben ohne Strom und sauberes Wasser. „Es ist eine humanitäre Krise, die durch den Zyklon noch verschärft wurde.“
Um den Ärmsten der Armen zu helfen, hatte Malteser International den Einsatz kurz nach dem Zyklon im so genannten „Pool of Experts“ ausgerufen. Dieser Expertenpool ist ein engagiertes Team erfahrener Freiwilliger, das in globalen Krisen- und Katastrophengebieten unterstützt. Für dieses Team hatte sich Kilian Müller vor zwei Jahren interessiert und war durch die intensive Vorbereitung mit Auswahlgesprächen, Einführungsseminar und psychologischem Eignungstest sowie vielen Impfungen bestens gerüstet für seinen ersten Auslandseinsatz. „Ich hatte die für diesen speziellen Einsatz geforderten Qualifikationen und außerdem noch Urlaub übrig“ erinnert sich der Malteser Notfallsanitäter und Physician Assistant an der Würzburger Uniklinik an seine Bewerbung für diesen Einsatz. Die Zusage kam an Silvester und dann hatte Müller wiederum zwei Tage Zeit, endgültig zu entscheiden: „Meine Frau und meine Vorgesetzten haben grünes Licht gegeben und dann ging alles sehr schnell“. Der Flug startete am 7. Januar ab Frankfurt über Paris, wo noch eine deutsche Ärztin aus Berlin zum Team dazustieß, nach Mayotte.
Ihr Auftrag: Zusammen mit Freiwilligen des französischen Malteserordens und des französischen Roten Kreuzes in dem bereits errichteten Feldlazarett des französischen Zivilschutzes eine Art Notaufnahme zu betreiben. „Vormittags haben wir uns dort um die Erstversorgung der vielen vielen Verletzten gekümmert. Nachmittags waren wir auf den Dörfern unterwegs als mobile Hausarztpraxis“, erzählt Kilian Müller. Die Begegnungen auf dem Land, in den Slums und Notunterkünften zählen wohl zu den prägendsten Erlebnissen, die der erfahrene Notfallsanitäter von seiner Zeit in Mayotte mit nach Deutschland genommen hat. „Wir haben unser Auto auf den Marktplätzen aufgestellt und waren sofort umringt von Menschen. Viele hatten in ihrem Leben noch nie einen Arzt gesehen“, so Müller. Beobachtet von der gesamten Dorfgemeinschaft kümmerten er und die anderen im Team sich um die Anliegen der Patienten. Ihre Hilfe beschränkte sich dabei auf die Akutbehandlung von Schmerzen, Verletzungen oder Magen-Darm-Erkrankungen, denn „Langzeitbehandlungen sind leider unter den Umständen nicht möglich“, bedauert er. Erschwerend kämen die hygienischen Zustände hinzu und die Tatsache, dass die Menschen, die sich illegal auf der Insel aufhielten, nie wieder in ein Krankenhaus gehen würden. Die Gefahr, dort von der Polizeit aufgegriffen und sofort abgeschoben zu werden, wäre zu groß. „Da galt es ganz oft, eine Grundversorgung sicherzustellen in dem Moment, wo wir da waren, für möglichst viele Menschen. Katastrophenmedizin halt“, beschreibt der Höchberger seine Tätigkeit. Müller engagiert sich selbst seit 2017 ehrenamtlich bei den Maltesern Würzburg und war schon bei vielen Katastrophenschutz-Einsätzen in Deutschland dabei, zuletzt im Ahrtal.
Gab es schöne Momente? „Ja, auf jeden Fall, viele sogar“, sagt Müller, denn die Menschen seien trotz ihrer furchtbaren Situation fröhlich und aufgeschlossen. Eine Begegnung hat er besonders in Erinnerung behalten: „An einem Tag kam eine Mutter mit ihren vier Kindern. Sie war mit dem fünften Kind schwanger. Wir haben eine Art Vorsorgeuntersuchung bei der Frau durchgeführt, uns um die Verletzungen und Erkrankungen der Kinder gekümmert und mit ihnen ausführlich gesprochen. Diese Familie hat offenbar zum ersten Mal erlebt, dass sie als Menschen wahrgenommen und behandelt werden. Sie waren so dankbar! Und als wir dann noch zusammen mit den Kindern eine Runde Fußball gespielt haben, wollten sie uns fast nicht mehr gehen lassen“, erzählt er mit einem Lächeln. Aber auch in dieses Lächeln mischt sich die Ernüchterung: „Ich hatte der Mutter geraten, die Kinder müssten bei einem Magen-Darm-Infekt mehr trinken. Sie hat mich nur müde angeschaut. Die nächste Wasserstelle war zwei Kilometer von ihrer Hütte entfernt.“ Die Tatsache, dass es dort wahrscheinlich niemanden wirklich interessiert, ob diese Familie überlebt, stimmt Kilian Müller traurig.
Die eigene Lebenssituation erscheint nach solchen Erlebnissen in einem anderen Licht: „Uns geht es so gut hier in Deutschland“, sagt Müller und ist sich sicher: „Das war auf jeden Fall nicht mein letzter Einsatz mit Malteser International!“