Was passiert, wenn ich mit dem Auto an einem Unfallfahrtzeug vorbeifahre und nicht zumindest den Notruf 112 auslöse? Kann ich einem Verletzten bei der Druckmassage Rippen brechen? Wo finde ich einen Defibrillator, wenn eine Seniorin vor mir auf dem Buttermarkt zusammenbricht und ganz offensichtlich Herzflimmern hat?
Um derartige Fragen geht es beim Erste-Hilfe-Kurs bei den Maltesern. Der Hilfsdienst bietet regelmäßig ganztägige Schulungen in seiner Einrichtung an der Verbindungsstraße 27 an. An einem Dienstag Mitte Februar frischen wir unser Wissen in Erster Hilfe auf und nehmen an einem Lehrgang teil.
„Warum seid ihr hier?“, fragt der Kursleiter Stephan Rittau als erstes. „Aus Nächstenliebe“, antwortet Sabine spontan. Sie ist eine von insgesamt 15 Teilnehmenden. Bei der Vorstellungsrunde wird deutlich, dass jeder in seinem Leben bereits mindestens eine Situation erlebt hat, wo es um Leben und Tod ging und schnelle Hilfe lebensrettend ist. „Ihr habt acht Minuten, bis der Rettungsdienst da ist. In diesen acht Minuten müsst ihr handeln“, sagt Stephan und nimmt den Teilnehmenden als erstes die Angst, etwas falsch zu machen: „Falsch ist nur, nichts zu tun und wegzuschauen.“
Die Teilnehmenden haben sich entweder aus eigenem Antrieb wie Sabine angemeldet. Oder sie sind über die Berufsgenossenschaft von ihrem Arbeitgeber angemeldet worden. Das gilt beispielsweise für Steffi, die bei einem Kempener Chemieunternehmen arbeitet und mit zwei Kollegen am Kurs teilnimmt. Ebenso für Thomas, das Team seiner Steuerkanzlei ist sogar zu Fünft im Malteser-Schulungsraum. Bei einigen ist es bereits Jahrzehnte her, manchmal seit der Führerscheinprüfung, dass sie an einem solchen Lehrgang teilgenommen haben. Keine Schande – der Wille zur Auffrischung zählt!
Beim Erste-Hilfe-Kurs darf gelacht werden
Vorweg: Beim Erste-Hilfe-Kurs wird zwar geübt für den Ernstfall, bei dem es um Leben und Tod geht. Aber es darf gelacht werden. Stephan sorgt mit seiner emotionalen Art dafür, dass sich bereits nach den ersten Übungen jeder wohlfühlt und weiß: Ich darf hier auch Fehler machen. „Dumme Fragen gibt’s nicht!“, sagt der Ausbilder. Der 62-jährige Dozent ist bei den Maltesern angestellt und macht einen prima Job. Stephan ist auch als Praxisanleiter unterwegs und gibt ferner an Schulen und Unternehmen Sanitäterkurse.
Bereits nach einer halben Stunde trainieren die Teilnehmenden genau das, was viele Menschen auf Anhieb mit Erster-Hilfe verbinden: Druckmassage des Brustkorbs in Verbindung mit Mund-zu-Mund-Beatmung. „Das Hirn braucht Sauerstoff“, bringt Stephan die wichtigste Regel auf den Punkt. Also keine Sekunde zögern, wenn der Verletzte nicht mehr zu atmen scheint. Hemd aufreißen, Kopf in den Nacken legen, 30 kräftige und regelmäßige Stöße mit beiden Händen auf Höhe der Achselhöhlen in der Mitte des Brustkorbs, danach zwei tiefe Atemzüge in die Lunge geben, das Ganze drei mal. „Wenn es 25 oder 35 Stöße sind – auch kein Problem. In Stresssituationen schafft ihr es eh nicht, exakt zu zählen.“ Über die Puppe „Anne“, die „verletzt“ am Boden liegt, können nun alle 15 Teilnehmenden eine Lebensrettung trainieren. Dass die anderen 14 zuschauen, simuliert ein wenig den Adrenalinkick, den Lebensretter in Echtsituationen multipliziert haben.
Apropos Zuschauer: Im Handyzeitalter ist es – leider - in Mode gekommen, Verletzten nicht zu helfen, sondern zu filmen und dies sofort zu posten „Ich war dabei, als dieser Mann auf der Straße starb.“ Selbst dem erfahrenen Lebensretter Stephan treibt es die Zornesröte ins Gesicht, wenn er von unvorstellbaren Szenen am Rande eines Unfalls berichtet. „Gebt den Gaffern sinnlose Aufgaben, damit sie das Handy weglegen und das Gefühl bekommen, sie hätten was Sinnvolles gemacht“, rät Stephan. Regel Nummer 2: Im Notfall jegliche Höflichkeit ablegen, laute Befehle wie „Ruf 112 an!“ sind jetzt wichtiger als Höflichkeitsfloskeln.
In Zweierteams hilft man sich gegenseitig
Druckverband anlegen, Seitenlage, Motorradhelm abnehmen, den Verletzten in eine Wärmedecke packen, mit einem Dreiecktuch einen Kopfverband anlegen, eine Mullbinde so anlegen, dass die Blutung gestoppt wird, einen Dementen davon abhalten, über die Autobahn zu rennen – das sind weitere Themengebiete, die die Teilnehmenden heute nicht nur theoretisch hören, sondern praktisch tun. In Zweierteams hilft man sich gegenseitig auf die Sprünge. Stephan beobachtet aufmerksam die Abläufe, korrigiert behutsam und zeigt Handgriffe, wie es besser geht. Im Laufe des Tages erfahren die Teilnehmenden auch, wie wichtig ein Organspenderausweis ist und warum eine Typisierung möglicherweise ein Menschenleben rettet.
Mit Blick auf den demographischen Wandel – die Menschen hierzulande werden älter und weniger – geht der Malteser-Ausbilder ausführlich auf das Thema Demenz und psychische Notfälle ein. „Schützen, unterstützen, entlasten, aber nicht anfassen – das ist die Devise“, berichtet der Hülser, der seit langem in Kempen lebt.
Stephan beantwortet natürlich auch die drei eingangs gestellten Fragen: Wer nicht hilft, macht sich strafbar; Rippen dürfen bei der Druckmassage brechen – Hauptsache das Herz schlägt wieder; einen Defibrillator findet man in öffentlichen Gebäuden (beispielsweise im Rathaus), an Sportstätten, in Banken und vielen sonstigen Einrichtungen.
► Infos zu Erste-Hilfe-Kursen gibt Astrid Völkel, Leitung Ausbildung Kreis Viersen beim Malteser Hilfsdienst e.V.: Tel. 02152 9590150 oder E-Mail astrid.voelkel@malteser.org
Text: Axel Küppers