"Die Eindrücke allein dieser beiden Einsatztage bewegten zutiefst. Gerade deshalb sind wir Olper Malteser nach wie vor selbstverständlich zur sofortigen Hilfeleistung in den Schadensgebieten der Unwetterkatastrophe bereit. In unsere Gebete schließen wir alle unmittelbaren und mittelbaren Opfer der Unwetter ein."
Mario Burghaus berichtet:
Über verschiedene Medien erhielt man am Mittwoch den 14. Juli 2021 Meldungen und Warnungen über extrem ergiebigen Dauerregen. Je nach Aufenthaltsort konnte man zwar Dauer und Menge der Niederschläge feststellen, das Ausmaß jedoch nicht einschätzen. Am Nachmittag bat unser Stadtbeauftragter in unserer Telekommunikationsgruppe darum, dass diejenige Person die als nächstes an unserer neu bezogenen Dienststelle in Olpe vorbeikäme, dort mal nach dem Wasserstand des unweit davon fließenden Olpe-Bach schauen könne. Ungläubig ob dieser Eskalation, fuhren mehrere Helfer unabhängig voneinander im Anschluss dorthin, um sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Gott sei Dank war der Pegelstand der Olpe zu diesem Zeitpunkt zwar außergewöhnlich hoch, aber unterhalb besorgniserregender Werte, was auch so blieb. Allerdings gingen gleichzeitig schon die ersten Meldungen über Überschwemmungen im östlichen Teil des Kreises Olpe, aus dem Märkischen Kreis sowie aus weiteren Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ein.
Am folgenden Tag (15.07.21) ließ dann die allgemeine Berichterstattung keinen Zweifel mehr daran, dass dies eine der verheerendsten Unwetterkatastrophen in Deutschland überhaupt gewesen ist. Im Hintergrund wurden nun die ersten Vorkehrungen für einen möglichen Einsatz der Einheit in einem der Katastrophengebiete getroffen.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag (16.07.21) um 01:00 Uhr wurde dann tatsächlich der Patiententransportzug 10 NRW (PT-Z 10) des Kreises Olpe alarmiert. Dieses Sanitätsdienstkonzept hat die grundsätzliche Aufgabe, die erforderliche Transportkapazität für zehn Patienten unterschiedlicher Sichtungskategorie bereit zu stellen. Im Kreis Olpe stellen für diese und andere Komponenten sowohl der Malteser Hilfsdienst, als auch das Deutsche Rote Kreuz, der Rettungsdienst und die Freiwillige Feuerwehr Fahrzeuge und Personal im Einsatz bereit. Also sammelten sich ca. eine Stunde nach der nächtlichen Alarmierung Helfer mit Krankentransport- und Rettungswagen auf einem Platz am Autobahnkreuz Olpe-Süd, um im Anschluss in das 120 km entfernte Swisttal zu verlegen.
Da erst bei Ankunft im Bereitstellungsraum die Dämmerung begann, konnte man auf dem Hinmarsch die Auswirkungen des Hochwassers immer noch nicht erahnen. Bei einem Orientierungshalt im Ort Odendorf – der Mobilfunkempfang war aufgrund der Stromabschaltung weiträumig ausgefallen und daher eine Navigation über Internet nicht möglich – erkannte man in den von Blaulicht erhellten Straßen nur jede Menge Schlamm und mitgespülte Gegenstände. Erst später konnte man die unterspülten Brücken, überspülten Straßen und Bahndämme oder die Autowracks erschreckend wahrnehmen.
Im Bereitstellungsraum erhielten die Zugführer der zwei PT-Z 10 aus Olpe und aus Recklinghausen den Auftrag, das örtliche Wohn- und Pflegeheim zu evakuieren und in verschiedene andere Einrichtungen in der weiteren Umgebung (teilweise bis zu 40 km) zu transportieren. Hintergrund der Evakuierung war die kritische Lage an der nahegelegenen Steinbachtalsperre, welche zu brechen oder überzulaufen drohte. Deshalb war höchste Eile geboten, sodass alle Fahrten mit Sonderrechten durchgeführt wurden. Die Bewohner der Einrichtung wurden je nach gesundheitlichem Zustand bzw. Gehfähigkeit liegend oder sitzend, allein oder zu zweit in den Einsatzfahrzeugen transportiert. Trotz der Gefahr im Verzug musste bei Betreuung und Transport entsprechend auf die körperliche, aber insbesondere auch seelische Verfassung der anvertrauten Personen nach der Unwetterkatastrophe geachtet werden. Aufgrund der ausreichenden Transportkapazität und der zügigen Zusammenarbeit aller Kräfte – Feuerwehr und hausärztlicher Notdienst waren ebenfalls vor Ort – konnte das Haus zügig evakuiert werden.
Danach wurden die beiden Züge in den Bereitstellungsraum auf dem Hardtberg in Bonn befohlen. Dort konnten wir uns zunächst einmal selbst verpflegen, immerhin waren wir bereits seit ca. zehn Stunden im Einsatz. Kurz nach Mittag erhielt der PT-Z 10 des Kreises Olpe zusammen mit dem aus Recklinghausen den Auftrag, ein Pflegeheim für schwerstkranke und teilweise beatmungspflichtige Menschen in Rheinbach zu evakuieren. Weil der Strom aus Sicherheitsgründen im gesamten Gebiet abgeschaltet worden war, wurden in diesem Pflegeheim lebensnotwendige Geräte mit einem Notstromaggregat betrieben. Da die Wiederherstellung der örtlichen Stromversorgung nicht absehbar war, wurde zwischen der Pflegedienstleitung und dem ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes die Evakuierung der Pflegeeinrichtung beschlossen. Zum Transport der Intensivpatienten wurden unsere beiden PT-Z 10 durch Notarztwagen der Berufsfeuerwehr Bonn unterstützt. Nach und nach konnten so alle Patienten des Hauses einzeln in wiederum unterschiedliche Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen verbracht werden. Um sowohl Patienten als auch Rettungspersonal vor Infektionen zu schützen, wurden alle Transporte unter größtmöglichen Infektionsschutzmaßnahmen durchgeführt.
Zurück im Bereitstellungsraum Hardtberg mussten wir nun warten, ob ein Folgeauftrag an unseren Zug ergeht. Da Dauer und Intensität des Einsatzes also nicht vollends absehbar waren, wurde in der Zwischenzeit Ersatz aus dem Kreis Olpe angefordert. Nach Alarmierung, Zusammenziehung und Marsch trafen die Kameradinnen und Kameraden von MHD und DRK am späten Nachmittag in Bonn ein. Etwas später wurde uns dann aber vom Zugführer mitgeteilt, dass der PT-Z 10 für den Tag aus dem Einsatz entlassen wurde, sodass wir kurz darauf Richtung Heimat in zwei Marschverbänden abmarschierten. Gegen 21:30 Uhr schlossen wir den Einsatz an der Dienststelle ab.
Die Alarmbereitschaft blieb ab diesem Tag hoch. Jeder der Einsatzeinheiten des Kreises Olpe wusste, dass es unmittelbar wieder in eines der Katastrophengebiete losgehen konnte. So geschah es in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, den 21. Juli. Eine Einsatzeinheit des Kreises hatte einen Auftrag zur überörtlichen Hilfeleistung erhalten. In der Nacht, wieder gegen 01:00 Uhr wurden auch die Helfer des Malteser Hilfsdienstes nachalarmiert, um die Einheit personell und materiell zu unterstützen. Diesmal hatten wir jedoch noch sechs Stunden Vorlaufzeit, da der Abmarsch der Einsatzeinheit für 07:30 Uhr geplant war.
An diesem Tag ging es mit 33 Frauen und Männern in die Stadt Schleiden im Kreis Euskirchen. Dort sollten wir dabei unterstützen, bestimmte Stadtgebiete zu erkunden und die dortige Bevölkerung zu betreuen. Die Stadt wurde ebenfalls so hart vom Unwetter getroffen, dass Einsatzkräfte es bis dahin nicht geschafft hatten, alle Haushalte lückenlos zu erreichen, um sicherzustellen, dass jeder Bewohner unversehrt ist. Dies führten wir nun durch, indem in Trupps von Haus zu Haus gegangen, alle angetroffenen Bewohner nach sanitätsdienstlichem und psychosozialem Unterstützungsbedarf befragt und Recherchen nach nicht angetroffenen Bewohnern angestellt wurden. Insgesamt wurden so in fünf Stunden insgesamt etwa 300 Haushalte überprüft. Die Helfer trafen dabei auf Anwohner, die tatkräftig und hoffnungsvoll, gemeinsam mit der Nachbarschaft die Spuren der Katastrophe beseitigten. Hier und da konnten auch Blessuren und kleinere Verletzungen, welche sich die Personen bei den Aufräumarbeiten zugezogen hatten, versorgt werden. Allerdings mussten die Helfer auch insbesondere seelische Unterstützung bei Menschen leisten, die die Ereignisse der vergangenen Tage stark belasteten. In besonderen Situationen konnte das Team der Psychosozialen Notfallversorgung des Malteser Hilfsdienstes kontaktiert werden, welches innerhalb kürzester Zeit an Ort und Stelle war.
Kurz bevor wir wieder nach Olpe abmarschieren wollten, ereilte den Zugführer noch die Nachricht, dass es im Ort an diesem Tag vermehrt zu Durchfallerkrankungen gekommen sei. Die zur Unterstützung angeforderten Einsatzeinheiten wurden also noch nicht entlassen, um im Falle einer negativen Lageentwicklung einen Sanitäts- und Betreuungsdienst sicherstellen zu können. Der Fachhygieniker gab nach seiner Analyse und Lagefeststellung nach ca. 90 Minuten jedoch Entwarnung, sodass wir uns schließlich in Kolonne auf die etwa zweistündige Heimfahrt machen konnten.
Text:
Mario Burghaus, Gruppenführer Führung 3. EE Kreis Olpe und Referent für Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Malteser Hilfsdienst Olpe e.V.