Wie funktioniert Heilfasten und warum ist es so gesund?
Dr. med. Yvonne Höfer: Heilfasten ist eine Form des bewussten Verzichts auf feste Nahrung über einen begrenzten Zeitraum hinweg. Ziel ist es, den Stoffwechsel zu regenerieren und das Immunsystem zu stärken. Dies wird erreicht über verschiedene Prozesse und Reparatursysteme, die durch das Fasten im Körper aktiviert werden. Wie z.B. die Autophagie, bei der beschädigte Zellbestandteile abgebaut und recycelt werden. Oder die Umstellung der Energiegewinnung, die Fettreserven abbaut, den Stoffwechsel verbessert und die Insulinsensitivität erhöht.
Studien zeigen, dass Heilfasten auf diese Weise z.B. bei Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, rheumatischen Erkrankungen und chronischen Entzündungen positive Effekte haben kann. Aber nicht nur die Organe werden entlastet. Auch das psychische, mentale Wohlbefinden verbessert sich. Kurzum: Fasten hilft uns dabei, ein gesünderes Leben zu führen.
Andrea Chiappa: Grundsätzlich wirkt Heilfasten nach dem uralten Prinzip der „Natur der Selbstregulation“. Der gesunde Nahrungsverzicht fordert zahlreiche körperliche System heraus, sich neu zu justieren. Es ist wie ein multimodales Regulationstraining: Organe und Körperprozesse lernen, sich zu regulieren und wieder normal zu arbeiten. Dies kann mit Kneipp-Anwendungen, Physiotherapie, Herz-Kreislauftraining und bewussten Ruhephasen gezielt unterstützt werden.
Wird die Fastenkur bewusst gestaltet, spüren viele Menschen danach enorme Veränderungen im Alltag: mehr Tatkraft und Zuversicht, ein stabiler Blutdruck, eine Normalisierung des Essverhaltens mit mehr Lust auf frisches Obst und Gemüse… – all das macht das Leben wieder lebenswert.
Also ist Fasten nicht nur eine Ernährungsstrategie, sondern auch eine Chance, sein Leben neu zu sortieren?
Andrea Chiappa: Auf jeden Fall. Fasten ist weit mehr als nur eine Essenspause – es wirkt tief in die Psyche und ins Seelische hinein. Es befreit die Sinne, den Zugang zum eigenen Körpergefühl und auch zur Lebensfreude. Es kann eine intensive Begegnung mit sich selbst sein. Allerdings braucht es dafür während des Fastenprozesses ein ruhiges Umfeld, eine Auszeit vom Alltag. Fernab vom ständigen „Machen müssen“, vom Medienkonsum und von der allgemeinen Reizüberflutung kann das Fasten dabei unterstützen, sich selbst wieder wahrzunehmen und sich und sein Leben zu reflektieren. Dann können sich „verkrustete Gedanken“ wie von selbst lösen und neue Perspektiven und Einsichten entstehen. Wichtige Lebensentscheidungen können mit klarem Blick und auf gutem Grund getroffen werden.
Yvonne Höfer: Ja. Fasten ermöglicht, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen und den Fokus auf die eigene Lebensweise zu richten. Der bewusste Verzicht auf Nahrung schärft das Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse, Gewohnheiten und Automatismen. Man erkennt, wie wenig man tatsächlich braucht, um zufrieden zu sein. Das führt oft zu einer Neuordnung der Prioritäten.
Was sind die wichtigsten Prinzipien für ein positives Fastenerlebnis?
Yvonne Höfer: Wichtig ist vor allem eine ärztliche Abklärung vor Beginn des Fastens, um sicherzustellen, dass der Nahrungsverzicht für den eigenen Körper unbedenklich ist. Besonders dann, wenn Erkrankungen vorliegen und Medikamente eingenommen werden.
Um dem Körper den Übergang ins Fasten zu erleichtern, empfiehlt sich eine „Entlastungsphase“ von 2-3 Tagen vor dem eigentlichen Fasten. In dieser Zeit nimmt man nur leichte Kost, vorrangig Gemüse und Kartoffeln oder Reis, zu sich und reduziert tierische Eiweiße sowie Genussmittel. Während des Fastens sollte man darauf achten, viel zu trinken (mindestens 2-3 Liter, z.B. Wasser, ungesüßten Tee oder klare Gemüsebrühe) und sich wohltuende Rituale zu schaffen. Bewusste Momente für Bewegung und Entspannung, wie tägliche Spaziergänge und Meditationen, helfen dabei, das Fastenerlebnis positiv zu gestalten
Andrea Chiappa: Ein wichtiges Prinzip ist auch, dass man sich zu Beginn ehrlich fragt: „Warum möchte ich fasten? Was erhoffe ich mir davon? Was brauche ich dabei für mich?“ Diese Reflexion hilft dabei, realistische Erwartungen zu haben, die richtigen Vorbereitungen zu treffen und sich mental auf den Fastenprozess einzustellen.
Während des Fastens sollte ausreichend Zeit für sich und die täglichen Routinen vorgesehen werden: Entspannung und Ruhe lassen bei sich selbst ankommen; Bewegung und Maßnahmen wie Kneippen, Trockenbürsten und Darmreinigungen unterstützen die Entgiftungsprozesse und machen das Fasten leichter.
Zu guter Letzt sind die sogenannten Aufbautage nach dem Fasten entscheidend, um den Körper behutsam wieder an feste Nahrung zu gewöhnen und die positiven Effekte des Fastens möglichst lange zu bewahren.
Aus den von uns beiden genannten Gründen empfiehlt es sich gerade für Anfänger, in einem geschützten und begleiteten Rahmen zu fasten, wie wir ihn z.B. hier in unserer Klinik bieten können.
Wie kann man den Hunger während des Fastens vermeiden? Welche Strategien gibt es?
Yvonne Höfer: Hungerattacken können während des Fastens vorkommen, sind dann aber meist nur von kurzer Dauer. Um den Hunger zu lindern, hilft Flüssigkeit: Über das Trinken von reichlich warmem Wasser, Kräutertees oder Gemüsebrühen kann ein Sättigungsgefühl erzeugt werden. Die Zugabe von ein paar Tropfen Zitronensaft oder einem Stück frischen Ingwer ins Wasser beruhigt bei Bedarf den Magen. Bei uns in der Klinik hilft gegen Hungergefühle zusätzlich eine Darmspülung – da Hunger bei einem nicht vollständig entleerten Darm entsteht. Zu Hause kann ein Einlauf eine ähnliche Wirkung erzielen.
Darüber hinaus kann man sich durch Spaziergänge, Lesen oder sanfte Aktivitäten vom Hunger ablenken. Wichtig ist, sich Ruhe zu gönnen, da Stress den Hunger verstärken kann.
Andrea Chiappa: Bei uns in der Klinik lassen die Anwendungen und die vielen Impulse aus unserem breiten Angebot eigentlich kaum Hunger aufkommen. Denn wenn die Seele genährt wird – durch Meditation, Entspannung, Gebet oder Gespräche -, verspürt man keinen körperlichen Hunger mehr.
Im Alltag essen wir oft, bevor wir überhaupt Hunger verspüren. Und auch bei Stress, Frust oder Langeweile greifen wir unbewusst zu etwas Essbarem. Fasten hilft, aus diesem Kreislauf herauszukommen. Zum einen erlernen wir wieder ein gesundes Hungergefühl, zum anderen können wir uns mit Abstand zum Alltag fragen „Was nährt mich wirklich?“, „Was entspannt meinen Geist und macht meine Seele glücklich?“.
Entspannung ist also ein wichtiger Bestandteil des Fastens?
Andrea Chiappa: Ja. Entspannung ist von großer Bedeutung, weil Fasten den Körper erstmal in eine Art Stresszustand versetzt. Die Ausschüttung der Stresshormone ist Teil des Regulationstrainings. Dann sind Entspannungsübungen wie Yoga, Meditation oder Atemtechniken wichtig, um das Nervensystem zu beruhigen, Herzschlag und Blutdruck zu senken und den Körper darüber im Fastenprozess und in der Regeneration zu unterstützen. Körperlich wie natürlich auch mental.
Welche Bedeutung hat körperliche Bewegung während des Fastens?
Andrea Chiappa: Grundsätzlich kann man die tägliche körperliche Bewegung, wie auch die Fastentherapie, als „Breitbandtherapeutikum“ bezeichnen. Und auch während des Fastens ist es ratsam, jeden Tag leichte Bewegung einzubauen, um den Körper zu stärken. Die Intensität sollte jedoch individuell angepasst werden. Auf die eigenen Grenzen zu hören, ist dabei entscheidend. Gute Orientierung bietet dabei folgende Regel: Komme kurz außer Atem und leicht ins Schwitzen.
Yvonne Höfer: Das stimmt, Überanstrengung sollte auf jeden Fall vermieden werden. Geeignet sind z.B. tägliche Spaziergänge von 30 bis 60 Minuten oder sanftes Yoga und Stretching. Über die moderate Bewegung werden Muskeln und Herz-Kreislaufsystem trainiert und die Fettverbrennung gefördert. Beim Fasten entstehen im Körper Säuren, die durch das intensivere Atmen besser abgeatmet werden und durch das Schwitzen vermehrt über die Haut austreten können. Wichtig ist natürlich, nach der Bewegung ausreichend zu trinken.
Welche Trinkregeln sollten beim Fasten beachtet werden?
Yvonne Höfer: Zusätzlich zu den Fastenmahlzeiten empfehlen wir, mindestens 2 bis 3 Liter täglich zu trinken, um Dehydrierung zu vermeiden. Am besten sind Wasser, ungesüßte Kräutertees oder Gemüsebrühe, die langsam schluckweise getrunken werden. Alkohol sollte hingegen vermieden werden, da er den Stoffwechsel belastet und dehydrierend wirkt.
Andrea Chiappa: Man sollte auch bedenken, dass selbst Kräutertees unerwünschte pharmakologische Wirkungen hervorrufen können, wenn sie im Übermaß getrunken werden. Deshalb: Wenn Tee, diesen lieber verdünnt trinken.
Eine zusätzliche Regel ist, auf die Farbe seines Urins zu achten. Denn dieser kann Hinweise darauf geben, ob ein zusätzliches Glas Flüssigkeit erforderlich ist. Ein hellgelber, klarer Urin zeigt eine gute Hydration an, während ein dunklerer Urin auf einen erhöhten Flüssigkeitsbedarf hinweisen kann.
Am besten trinkt man regelmäßig und schluckweise über den Tag, um eine gleichmäßige Flüssigkeitsaufnahme zu gewährleisten.
Welche therapeutischen Maßnahmen können parallel unterstützen und den Fasteneffekt verstärken?
Yvonne Höfer: Es gibt zahlreiche Ansätze, um den positiven Effekt des Fastens zu verstärken. Zum Beispiel der Leberwickel, der durch feucht-heiße Wärme die Durchblutung der Leber steigert - und darüber ihre Funktionen und Entgiftungsarbeit. Besonders wirksam ist auch die Hydrotherapie: Die verschiedenen Bäder und Güsse fördern die Durchblutung, stimulieren die Organsysteme und unterstützen die Ausscheidung von Stoffwechselprodukten. Auch spezielle Infusionen können den Körper gezielt im Fasten- und Selbstheilungsprozess unterstützen. Und natürlich sind hier auch manuelle Therapien und Massagen zu nennen, die u.a. den Lymphfluss aktivieren und die Entspannung fördern können.
All das bieten wir in unserer Klinik als begleitende Maßnahmen an, um den Fastenprozess zu intensivieren und eine umfassende Regeneration von Körper und Geist zu ermöglichen.
Andrea Chiappa: Nicht zu vergessen die Entspannungstherapie, die Spiritualität und die psychotherapeutischen Aspekte, die das Fasten positiv beeinflussen können. Durch den Abbau von Stress und Anspannung wird der Fastenprozess für Körper, Geist und Seele leichter. Und kann mit der passenden Unterstützung, wie in unserer Klinik, intensiver erlebt werden: Das helfende Gespräch mit unseren Seelsorgerinnen, die täglichen Andachten in unserer Klinikkapelle und Gruppenangebote zu Achtsamkeit und Resilienz können helfen, der Fastenerfahrung mehr Tiefe zu geben und emotionale Herausforderungen zu bewältigen.
Welche Vorteile bietet das Fasten in Begleitung von Gleichgesinnten?
Andrea Chiappa: Das Fasten in Gemeinschaft bietet zahlreiche Vorteile. Einer der wichtigsten ist die soziale Unterstützung, die durch die Schaffung einer Gemeinschaft entsteht. Die Fastenden können sich gegenseitig motivieren und ihre Erfahrungen austauschen. Das stärkt nicht nur den Zusammenhalt, sondern trägt auch zu einem intensiveren Fastenerlebnis bei. Die „Verpflichtung“ gegenüber der Gruppe steigert die individuelle Durchhaltefähigkeit und hilft, Versuchungen zu widerstehen. Dazu vertiefen gemeinsame Rituale und Strukturen die Erfahrung und schaffen ein Gefühl von Zugehörigkeit.
Yvonne Höfer: Auch die emotionale Unterstützung durch Gleichgesinnte spielt eine zentrale Rolle. Die Gruppe gibt Halt, besonders in schwierigen Momenten. Die gegenseitige Ermutigung fördert das emotionale Wohlbefinden und gemeinsame Aktivitäten sorgen dafür, dass das Fasten wirklich Freude bereitet.
Wie kann man den Fastengewinn langfristig erhalten?
Yvonne Höfer: Um den Fastengewinn langfristig zu erhalten, ist eine ganzheitliche Herangehensweise an Ernährung und Lebensstil entscheidend. Wichtig ist eine bewusste Ernährung nach dem Fasten, insbesondere das langsame Wiedereinführen von gesunden Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Vollkornprodukten. Auch regelmäßige Entlastungstage sind sinnvoll. Mit Intervallfasten oder einem Tag pro Woche, an dem man nur leichte Kost zu sich nimmt, lassen sich die Fasteneffekte sehr gut in den Alltag hinein verlängern. Wenn man dann neben der bewussten Ernährung auch die Dankbarkeit gegenüber dem eigenen Körper beibehält und die gewonnen Erkenntnisse über sich selbst und sein Leben in den Alltag integriert, kann die Fastenerfahrung der Beginn von langfristigem Wohlbefinden sein.
Andrea Chiappa: Meine Empfehlung ist, bereits während des Fastens einen Plan für die Zeit danach zu entwickeln – um die neue Klarheit und Energie direkt mit in den Alltag zu nehmen. Das kann Sportarten und Aktivitäten umfassen, die Freude bereiten und leicht integriert werden können, wie Spaziergänge, Yoga oder Fitnesskurse. Bewusste Ruhephasen zum Innehalten und Entspannen. Und natürlich neue gesunde Routinen hinsichtlich der Ernährung. Hier bietet z.B. unsere personalisierte Ernährungstherapie wertvolle Unterstützung. Indem wir gemeinsam maßgeschneiderte Strategien für die Zeit danach entwickeln, lassen sich die Erfolge des Fastens tatsächlich nachhaltig in den Alltag integrieren. Und wenn später Fragen auftauchen oder die Motivation nachlässt, sind wir auch online erreichbar, um langfristig bei der Lebensstilanpassung zu unterstützen.