Interview

"Die Gründung war eine enorme Leistung"

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Joachim Gies
MHD-Präsident Georg Khevenhüller (l.) und Dr. Erich Prinz von Lobkowicz, Präsident der Deutschen Assoziation des Malteserordens.

Was bedeuten 70 Jahre Malteser Hilfsdienst für den Malteserorden?

Erich Prinz von Lobkowicz: Der Malteser Hilfsdienst ist als größtes Werk des Ordens in Deutschland und auf der Welt natürlich von zentraler Bedeutung für das Selbstverständnis des Ordens – und ein großer Stolz für den Orden in Deutschland und weltweit. 

Warum haben Malteserorden und Caritas 1953 gesagt: Es braucht jetzt einen Malteser Hilfsdienst?

Lobkowicz: Weil der Orden ein Werk in Deutschland dieser Art beginnen wollte und weil Konrad Adenauer unbedingt ein katholisches Werk dieser Art in Deutschland sehen wollte, nach den grimmigen Erfahrungen mit den Hilfsorganisationen im Dritten Reich. 

Georg Khevenhüller: Wir sind extrem dankbar, dass die Altvorderen sich damals dazu entschlossen haben, die Idee von Konrad Adenauer aufzugreifen und in die Tat umzusetzen. Das ist eine enorme Leistung, wenn man bedenkt in welcher Situation damals unser Land war und wo es überall Not gab. Zu sagen: Wir wollen etwas für das Gemeinwohl tun. Wir wollen nicht nur an uns denken. Ich finde, dass das eine heroische Leistung war. Wir sind für dieses Geschenk, das uns damals gemacht wurde und von dem wir heute noch profitieren, dankbar. 

Wie hat sich der Hilfsdienst aus Ihrer Sicht in 70 Jahren entwickelt?

Khevenhüller: Am Anfang haben sich die Gründer gedacht, dass sie sich als erstes selbst in die Situation bringen müssen, helfen zu können. Und deswegen – und das sehe ich überall bei den Gliederungen, die ihr 50- oder 60-jähriges Bestehen feiern, wenn ich in den Annalen nachlese – hat die Aktivität mit einem Erste-Hilfe-Kurs begonnen. Und dann gings natürlich weiter. Der erste Rettungswagen war kein professioneller Rettungswagen wie heute. Man hatte eine Ambulanz gekauft, ein Fahrzeug. Und dann zog man los und versuchte, Verletzte zu bergen. 

Wie hat sich der Hilfsdienst aus Sicht des Ordens in 70 Jahren entwickelt?

Lobkowicz: Das war eine sehr interessante Entwicklung. Anfangs gab es durchaus Tendenzen im MHD, die Eigenständigkeit so weit zu entwickeln, dass die Ordensbeteiligung etwas in den Hintergrund geriet. Es ist ein Verdienst verschiedener Helfer und Akteure in den vergangenen zwanzig Jahren, dass sich eine große Einigkeit zwischen Orden und Hilfsdienst ergeben hat, die bei Organisationen dieser Art keineswegs selbstverständlich sind. Und die den Hilfsdienst effektiver und den Orden zufriedener machen. 

 

"Die Zusammenarbeit von Orden und Hilfsdienst ist in den letzten 20, 25 Jahren immer besser geworden."

Erich Prinz von Lobkowicz


Muss man dann nicht immer wieder daran arbeiten, dass das Verhältnis von Orden und Hilfsdienst weiterhin gut bleibt?

Lobkowicz: Das ist eine dauernde Arbeit. Das hängt an allen, die dort mitmachen. Ich würde aber sagen, die Zusammenarbeit von Orden und Hilfsdienst ist in den letzten 20, 25 Jahren immer besser geworden. 

Khevenhüller: Das kann ich absolut bestätigen. Schauen wir uns das heute zwischen Prinz Lobkowicz und mir an: Ich glaube, in den unterschiedlichen Betrachtungen oder im Blick auf irgendeine Herausforderung, sind wir eigentlich unabgestimmt immer einer Meinung. Und das setzt sich auch in anderen Bereichen fort. Weil wir auch immer die Not der Menschen im Blick haben und unser Proprium. Darum dreht es sich ja: Den Auftrag, den uns der selige Gerhard hinterlassen hat, umzusetzen: Wo ist Not und wie kann ich Menschen in dieser Not begegnen? Und ist das tatsächlich Ausdruck meines Verständnisses, wie ich meinen Glauben lebe? Kann ich das dort umzusetzen? Das ist unsere Aufgabe, die wir immer und überall umsetzen wollen. Und da ist der Orden identisch mit dem MHD. 

Wie ist es als Hilfsdienst, den Rückhalt eines Ordens zu haben?

Khevenhüller: Das ist eine große Freude, eine Ehre, eine Dankbarkeit, weil unser Auftrag auf das zurückgeführt wird, was der selige Gerhard vor knapp tausend Jahren in Jerusalem eingerichtet und festgeschrieben hat. Unser Proprium, unser Selbstverständnis: Bezeugung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen. Das gesagt, sind wir natürlich genau so stolz auf die Tradition, die damit einhergeht. 1000 Jahre ist ein Zeithorizont, der unglaublich viele Höhen und Tiefen, heroische Leistungen und auch Niederlagen mit sich gebracht hat, von denen wir alle zehren und lernen können. Wir sind dankbar, dass wir den Orden haben, der uns prägt und uns sehr viel unserer Identität gibt. Es ist eine enorme Basis, auf der wir aufbauen können. 

Der Orden gestaltet und prägt den Hilfsdienst über verschiedene Funktionen im Hilfsdienst mit. Warum? Und wie sehen sie beiden das?

Lobkowicz: Es ist ja so, dass möglichst alle Ordensmitglieder in Deutschland irgendwo in den Werken des Ordens mitarbeiten. An ganz bescheidener Stelle als Helfer und dann vielleicht auch in Führungsposition. Das persönliche Einbringen in die Hilfe der Werke ist für die Ordensmitglieder verpflichtend. Und der Malteser Hilfsdienst ist einer der wesentlichen Orte, um sich einzubringen und zu helfen – und zwar dienend. 

Das heißt der Orden ist immer mit dabei und prägt den Hilfsdienst mit. Kann man das so sagen?

Lobkowicz: Man muss es vielleicht so sagen: Er ist vielleicht gar nicht unbedingt sichtbar. Das sind ja alles MHDler. Die ganzen Ordensmitglieder sind auch im MHD. Ich war zum Beispiel 15 Jahre lang Diözesanleiter in München, dann Vizepräsident, also in verschiedenen Funktionen tätig. Und zwar mehr als MHDler als als Ordensmitglied, aber auch als Ordensmitglied. Ich kann die Arbeit in den Diözesen jedem empfehlen. Wir haben zahllose hochmotivierte Mitarbeiter, gute Mittel und können wirklich gezielt die Nöte der Menschen angehen. 

Gibt es Personen aus dem Orden, die den Hilfsdienst konkret mitgeprägt haben? 

Khevenhüller: Allein, wenn ich mir meinen Vorgänger Constantin von Brandenstein-Zeppelin anschaue, der 26 Jahre lang Präsident des Malteser Hilfsdienstes war. Das ist für mich ein großes Vorbild. So eine selbstaufopfernde Aufgabe: Er hat sich fast eine ganze Generation lang uneingeschränkt den Aufgaben des Malteser Hilfsdienstes gewidmet. Das ist eine großartige Leistung und das war für uns als Verband sehr prägend. 

Lobkowicz: Und gleichzeitig sein Bundesgeschäftsführer, Johannes Freiherr Heereman, der eher 35 Jahre lang den Verband geführt und zum Wachstum gebracht hat. Und sein Nachfolger Karl Prinz Löwenstein, nicht zu vergessen, auch eine äußerst kreative, führungsstarke Ordenspersönlichkeit. 

Khevenhüller: Oder Dieter Graf von Landsberg-Velen, natürlich nochmal in einer ganz anderen Dimension, weil er in der Zeit, in der er den Verband gestaltet und geführt hat, beide Funktionen innehatte: Er war nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Präsident. Also das, was heute der hauptamtliche Geschäftsführer ist, zusammengeführt mit der Funktion eines ehrenamtlichen Präsidenten. Er hat das alles ehrenamtlich gemacht, und das war natürlich auch nochmal eine ganz andere Leistung. Heute ist das Wesen des Hilfsdienstes viel feiner herausgearbeitet ist. Wir sind eine ehrenamtliche Organisation – aber eben nicht nur. Wir sind eine ehrenamtliche Organisation, die vom Hauptamt gestützt wird. Ohne Hauptamt können wir diese Leistung, die wir heute erbringen, im Ehrenamt nicht bringen. Deswegen brauchen wir diese Unterstützung durch das Hauptamt. Deswegen ist auch die Trennung gut: Wer ist Ehrenamt, wer ist Hauptamt? Gleichwohl sind hauptamtliche Mitarbeiter auch im Ehrenamt aktiv. Aber wir sollten es nicht vermengen. 

Prinz Lobkowicz, merken Sie, dass der Hilfsdienst auch den Orden beeinflusst? 

Lobkowicz: Die besondere Stellung Deutschlands im Orden weltweit hat ganz wesentlich mit seinem Hilfsdienst zu tun. Der Malteser Hilfsdienst in Deutschland ist größer, umfangreicher, hat mehr Mitglieder und hilft mehr Menschen als sonst der ganze Orden auf der ganzen Welt. Und da kann man nicht leugnen, dass das natürlich einen Einfluss hat. Überall, wo eine Notlage entsteht oder eine Katastrophe stattfindet, hilft der Orden. Und wer hilft in Wirklichkeit? Es ist der Malteser Hilfsdienst mit Malteser International oder dem Auslandsdienst. Das ist eine der stärksten Triebfedern für die Arbeit des Ordens überhaupt. Und das ist eine Entwicklung, die sich in dieser Intensität und Größe erst in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt hat. 

Was wünschen Sie sich für die kommenden 70 Jahre Malteser Hilfsdienst?

Lobkowicz: Goldene Helfer. Das ist die größte Herausforderung der Hilfsdienste: der Mentalitätswandel. Es ist immer schwerer für junge Leute, sich langfristig und verbindlich in einen Verband einzubringen. Deswegen ist das für uns das Wichtigste, denn wir bestehen ja aus Helfern. Jeder Helfer macht uns stärker. 

Khevenhüller: Und vielleicht, auch noch aus einer anderen Perspektive heraus, dass es uns auch in den nächsten 70 Jahren gelingt, unser Proprium glaubhaft zu leben und umzusetzen und den Helfern und den Geholfenen die Chance zu geben, eine Erfahrung mit Jesus Christus zu machen. Wenn uns das gelingt, sind wir gut beraten. Dann werden wir das, was uns ausmacht, nicht nur problemlos weitere 70, sondern auch mehrfach weitere 70 Jahre durchführen können. Aber es geht nur, wenn wir uns daran festhalten und diesen Weg nicht verlassen.